Die Prophezeiung der Steine
genau in dem Moment, als Ash den Dolch herauszog. Blut spritzte über den blauen und gelben Teppich. Der Mann stürzte zu Boden.
Die beiden von der Straße stürmten herein. Der Junge wollte sich auf Martine stürzen, blieb jedoch stehen, als diese ihr Messer hob. Der Mann konzentrierte sich auf Ash, den Dolch erhoben. Außer schwerem Atem herrschte Stille. Der Mann war größer als Ash, stämmiger und verfügte über eine wesentlich größere Reichweite. Das war schlecht.
Über der Leiche stellten sie sich einander gegenüber. Ash ging in die Hocke, die Klinge bereit. Der andere sah ihm ins Gesicht. Fehler , dachte Ash, während er das Messer umdrehte und warf. Schwerer Fehler, Kumpel . »Wenn du wirfst, um zu töten«, hatte Doronit gesagt, »dann ziele auf die Kehle. Das ist die einzige Stelle, an der das Messer mit Sicherheit eindringt.« Wie immer hatte sie Recht.
Der Dolch drang dem Mann durch den Kehlkopf, sodass
er keine Luft mehr bekam. Er fasste sich an die Kehle, lief blau an und tat keuchend seine letzten Atemzüge. Ash kniete sich auf die Brust des Mannes, zog das Messer heraus und durchtrennte ihm die Hauptschlagader. Seine Hand war ruhig dabei, was ihn verwunderte.
Hinter sich hörte er ein Handgemenge. Hildie war die Stufen heruntergesprungen, um sich den Jungen vorzuknöpfen.
»Nein!«, sagte Martine. »Halt ihn nur fest.«
Ash drehte sich um. Hildie war im Begriff, dem Jungen die Kehle durchzuschneiden. Martines Messer steckte ihm bereits in der Schulter, und sein herausragendes Heft hob sich schneeweiß von seinem Blut ab. Der Junge war Mitte zwanzig, hatte helles Haar wie die meisten Turviter, aber große, dunkle Augen, die für anderes Blut sprachen, und sein Gesicht hatte glatte Haut und zarte Wangenknochen. Ash bekam einen Kloß in den Hals und musste heftig schlucken. Fieberhaft suchte der Junge nach einem Ausweg, doch der Anblick seiner beiden getöteten Kameraden ließ ihn zurückschrecken.
»Jetzt«, sagte Martine und zog ihm den Dolch aus der Schulter. Träge floss das Blut heraus, und der Junge wurde so weiß wie das Heft des Messers. »Wer hat euch geschickt?«
Obwohl auf dem Boden zwei Leichen lagen, war ihre Stimme ruhig, sehr ruhig, und ihr Atem ging gleichmäßig. Es war die Stimme von jemandem, der so Schreckliches gesehen hatte, dass ihn nichts mehr schockieren konnte. Ash musste an Doronit denken, und der Gedanke überraschte ihn. Was hatte Doronit gesehen, das so schrecklich war?
Der Junge blieb stumm.
»Der Ratsversammlung ist es egal, ob ich drei oder zwei Leichen habe«, sagte Martine. »Wer hat euch geschickt?«
Hildie hielt ihm das Messer an die Kehle.
»Ranny«, flüsterte der Junge.
Martine entspannte sich. »Danke«, sagte sie.
Hildie verstärkte ihren Griff um das Messer und schaute Martine fragend an. Diese deutete mit dem Kopf auf die Tür. Hildie löste ihre Umklammerung. Der Junge stürzte auf die Straße hinaus und rannte durch die Gruppe von Geistern und Nachbarn, die durch die Türöffnung auf sie starrten.
Nun blieb nur noch das Saubermachen. Der hellgelbe und blaue Vorleger war ruiniert. Mit zitternden Händen half Ash, ihn einzurollen. (»Eine vollkommen normale Reaktion«, meldete sich Doronits Stimme in seiner Erinnerung, »aber gib dir Mühe, es die Kunden nicht merken zu lassen - das untergräbt ihr Vertrauen in uns.«) Er glaubte, sie vor Martine verborgen zu haben, doch Hildie schaute ihn von der Seite an. Wenn er sich erst einmal an Situationen wie diese so gewöhnt hatte wie sie, dann würde er auch nicht mehr zittern. Hoffte er. Jedenfalls war er sich fast sicher, sich dies zu wünschen.
Hildie holte Boc, den Leiter des Rats, der mit einem Handkarren kam, um die Leichen zum Friedhof zu fahren (für diese Sorte Menschen würde es keine Grabhöhlen geben). Boc war erleichtert, als er bemerkte, dass die Umstände des Todes keine Probleme nach sich ziehen würden. »Einbrecher, die bekommen haben, was sie verdienen«, sagte er und nickte, als Martine ihm erklärte, was geschehen war. Danach bat er Hildie, Doronit von ihm zu grüßen. Doronit verstand sich gut mit Boc.
Der Rat sollte Gesetz und Ordnung aufrechterhalten, doch auf den Straßen von Turvite gab es viel zu viele Verbrechen, als dass eine Handvoll Menschen die Kontrolle darüber hätte behalten können. Deshalb wurden Schutzwachen
benötigt. Im Übrigen lebte Turvite wie alle freien Städte nach den alten Gesetzen, denen zufolge man sein Haus bis auf den Tod gegen jedwede
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