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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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Geister sehen konnte. Er selbst hatte sein ganzes Leben schon Dinge gesehen, die andere nicht wahrnehmen konnten. Nie hingegen hatte er verstanden, wie die Leute von Turvite einfach durch Geister hindurchgehen konnten, als existierten diese gar nicht. Sie schienen stolz auf ihre Geister zu sein und auch stolz auf ihre Gleichgültigkeit ihnen gegenüber. Die Kinder von Acton, so nannten sie sich selbst. Acton, dem sich die Geister entgegengestellt hatten - Tausende und Abertausende niedergemetzelter Turviter, die er und seine Männer getötet hatten - und der sie mit seinem Gelächter übertönt hatte. »Wenn wir euch als Lebende bezwingen
konnten«, hatte er gesagt, »warum sollten wir dann vor euch als Toten Angst haben?« Sein Volk war nach Turvite gezogen und hatte die Stadt übernommen, von den Kellern bis zu den Dachböden, hatte Seite an Seite mit den Geistern der Enteigneten gelebt und war stolz darauf geworden.
    Wer seitdem in Turvite starb, hatte einen starken Geist, selbst wenn es sich um Actons Leute handelte. Ashs Vater hatte ihm erklärt, dies gehe auf einen Zauberspruch zurück, der benutzt worden war, um die Geister der Turviter nach der Schlacht gegen Acton und seine Männer herbeizurufen. Eine Zauberin, die in Turvite lebte, hatte den Geistern körperliche Stärke verleihen wollen, damit sie weiterkämpfen konnten. »Sie hat es nicht geschafft«, hatte sein Vater gesagt, »aber dafür wurden die Geister auf andere Art stärker - sie bestanden fort, konnten von allen gesehen oder gespürt werden.« Actons Leute trieben die Zauberin auf den Klippen nördlich des Hafens in die Enge, doch Acton untersagte es ihnen, sie zu töten, damit die Geister nicht verblassten. Er wollte, dass sein Volk mit einer Erinnerung an den Sieg lebte. Dabei lachte er, und sie verfluchte ihn - er werde nie bekommen, was er sich am meisten wünsche. Doch er zuckte nur mit den Schultern und meinte, das habe er bereits und deutete dabei auf die Stadt. Dann schüttelte sie den Kopf, lächelte voll süßer Rache und stürzte sich von den Klippen.
    Heute kannte niemand mehr ihren Namen, und Ash fand, dass dies auch keine Rolle spielte, da sie sich getäuscht hatte. Acton lebte danach noch viele Jahre und war, wie man sich erzählte, ein glücklicher Mensch. Er selbst war es, der das Ghost Begone Festival an der herbstlichen Tagundnachtgleiche initiierte, als man feststellte, dass der Tod der Zauberin die Geister nicht vertrieben hatte, sondern es Tag
für Tag mehr wurden, wenn Actons eigene Leute starben, bis es schließlich keinen Winkel in Turvite mehr gab, der von mehr Menschen als Geistern bewohnt war.
    Vor dem Haus von Martine wurde der Lärm des Festes lauter. Eine Gruppe junger Frauen kam vorbei, das Lied Fly Away Spirit mit hoher, lieblicher Stimme singend.Ash musste an seine Mutter denken, die genau wie er Geister sehen konnte und höher und lieblicher sang als irgendwer sonst auf der Wanderschaft. Es schnürte ihm die Kehle zu. Wo sie wohl heute Abend sang, und wie sein Vater sie begleitete? Ash überlegte, ob sie sich ohne ihn freier, glücklicher fühlten, und kam zu dem Schluss, dass dem wohl so war.
    Endlich erschienen die Wiedergänger.
    Der große, schwere Mann erwachte als Erster und nahm an der Stelle auf dem Boden Gestalt an, wo er unmittelbar nach seinem Tod gelegen hatte. Ash beobachtete, wie die blasse Form allmählich vor ihm Gestalt annahm, weiß, durchsichtig, aber deutlich erkennbar, die gleiche stämmige, behaarte Gestalt, die bei Martine durch die Tür gestürmt war. Er rappelte sich hoch, als hätte er nach wie vor einen Körper. So war es immer bei jungen Geistern. Sie verhielten sich so, als verfügten sie über Muskeln und Knochen. Die älteren schwebten einfach nur, trieben, wohin sie wollten, vom Fußboden bis an die Decke.
    Der Geist schaute sich um und suchte nach seinem Freund. Der neue Teppich irritierte ihn. Er wollte ihn berühren, sah, wie seine Hand durch die weißen Troddeln glitt und schrie auf. Er machte den Mund auf, seine Züge vor Entsetzen verzerrt. Doch es entstand kein Geräusch.
    Ash weinte heftig, vergoss heiße Tränen. In diesem Gesicht lag zu viel Schmerz. Für einen Moment vergaß er, dass dieser Mann ein gedungener Mörder gewesen war und ihn hatte umbringen wollen.

    Nun entdeckte der Geist sie beide. Zunächst erstarrte er, dann griff er nach seinem Dolch. Der war verschwunden. Schließlich hielt der Geist die Hände hoch, um zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Allem

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