Die Prophezeiung des Adlers
minimale Chance, dass sie es zur Flotte zurückschafften, bevor Ajax vermisst wurde. Das Unternehmen war von Anfang an riskant gewesen, wie Vitellius einräumen musste, aber er spielte um einen hohen Einsatz, und das bedeutete, dass er auch bereit sein musste, große Risiken einzugehen. Nur jetzt, da er in der Falle saß, wünschte Vitellius sich inständig, er hätte niemals von den Schriftrollen erfahren.
Sie kamen zum Korridor und gingen leise zur Tür. Vitellius hob die Faust und klopfte zweimal mit den Knöcheln gegen das raue Holz. Dann öffnete er die Tür behutsam und trat in das schwach erleuchtete Zimmer. Ajax saß wieder hinter dem Schreibtisch und blickte mit einem hämischen Lächeln auf, als Vitellius, Trebius im Gefolge, den Raum betrat. Den von zunehmender Verzweiflung erfüllten Tribun überkam angesichts dieser Miene des jungen Mannes unwillkürlich der Zorn.
»Worüber grinst du so? Wo ist … ?«
Man hörte einen dumpfen Schlag, und Trebius stieß ein lautes Keuchen aus. Vitellius drehte sich sofort um und entdeckte einen Ausdruck tiefer Überraschung im Gesicht des Leibwächters. Beide Männer blickten auf die blutige Schwertspitze hinunter, die einen Finger lang aus seiner Brust herausragte. Dann durchlief Trebius, der einen Stoß von hinten erhielt, ein Krampf, und die Klinge verschwand und ließ einen klaffenden Schnitt vorne in seiner Tunika zurück. Gleich darauf war der Stoff von dunklem Blut getränkt. Wieder durchlief Trebius ein krampfhaftes Zucken, und er sank auf die Knie nieder. Vitellius blickte auf und sah Centurio Minucius aus dem Schatten hinter der Tür treten, das blutbefleckte Schwert in der Hand. Trebius’ Kopf hing schräg nach hinten, und er heftete die Augen mit verwirrtem Blick auf Minucius. Dann wurden sie starr, und er brach auf dem Boden zusammen.
Vitellius zögerte einen Augenblick zu lang, bevor seine Hand zur Klinge an seiner Seite schoss, und Minucius trat vor und setzte dem Tribun die Schwertspitze an die Kehle.
»Nicht doch! Lass die Finger von deiner Waffe.«
Ajax stand auf und eilte herbei, und Vitellius sah, dass er ebenfalls ein Schwert in der Hand hielt. Es war unmöglich, sich aus dieser Lage herauszukämpfen, und der Tribun ließ die Hand sinken. Er starrte Minucius wütend an.
»Was hat dieser Verrat zu bedeuten?«
Minucius lächelte. »Jetzt komm schon. Jemand mit deinem Verstand muss doch fähig sein, sich das zusammenzureimen.«
»Wovon redest du? Was … «
»Still, Tribun.« Minucius hielt den Blick auf Vitellius geheftet, richtete seine nächsten Worte aber an Ajax. »Geh und hol ein paar Männer. Und lass deinen Vater rufen.«
Der Pirat nickte Minucius zu und eilte aus dem Raum. Dann hörten sie ihn rasch die Treppe hinunterstapfen.
Vitellius sah den Centurio mit berechnend zusammengekniffenen Augen an. »Was hat Ajax dir versprochen? Geld? Eine Fluchtmöglichkeit? Darauf bist du doch wohl nicht hereingefallen?«
»In der Tat nicht.« Minucius kicherte. »Jedenfalls habe ich bereits mehr als genug Geld von seinem Vater erhalten … «
»Von seinem Vater?« Vitellius runzelte die Stirn, und dann überkam ihn die Wahrheit mit solcher Wucht, als hätte ihn ein Schleudergeschoss getroffen. Er riss die Augen auf und zeigte mit dem Finger auf den Centurio. »Der Verräter? Der Mann, der die Flotte immer wieder heimgesucht hat … Du?«
»Ich.«
»Aber warum?«
»Du hast es doch selbst gesagt. Meine Entlassung steht bevor. Davor graut mir schon seit ein paar Jahren. Meine Ersparnisse hätten gerade gereicht, um im Ruhestand halbwegs angenehm zu leben. Aber wer will schon halbwegs angenehm leben, wenn er auch in Luxus schwelgen kann? Daher habe ich eine Abmachung mit Telemachos getroffen, und seit einem Jahr verkaufe ich ihm Informationen. Ich habe genug beiseitegeschafft, um sehr gut zu leben. Jetzt hast du mir die Gelegenheit verschafft, noch mehr zu bekommen. Ich nehme an, Telemachos wird dem Mann dankbar sein, der ihm seinen Sohn zurückgebracht hat. Und ihm obendrein noch eine hochrangige Geisel übergibt.«
»Du Bastard … «
MinuciusschütteltelachenddenKopf.»Tribun,tunichtsoempört.Warumbistdudennüberhaupthier?DashatdochnichtvielmitRechtschaffenheitundtreuemDienstfürdasImperiumzutun.DieseSchriftrollendortdrüben,worumauchimmeressichdabeihandelt,diewolltestdudochnichtzugunstendesKaisersnutzen,oder?«
»Nicht des gegenwärtigen Kaisers, nein.« Vitellius’ Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Wie hoch ist also dein
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