Die Prophezeiung des Adlers
»Sobald es dunkel wird, setzt jedes Schiff eine Laterne. So bleiben wir bis zum Tagesanbruch in Formation. Zumindest theoretisch.«
»Theoretisch?« Cato wandte sich heftig zu ihm um. »Was meinst du damit? Das kann doch nicht das erste Mal sein, dass du bei Nacht segelst?«
»Natürlich nicht, Herr.« Albinus klang gekränkt. »Es ist Teil der Grundausbildung. Nur ist es so, dass die meisten Schiffe dazu neigen, möglichst dicht bei der Küste zu bleiben und am Ende jedes Tages einen sicheren Ankerplatz zu suchen. Ich war mit der Sparta schon nachts draußen, aber niemals in einer Flotte.«
»Nie?« Cato war ungläubig.
»Nie.« Albinus lächelte. »Das sollte eine interessante Erfahrung werden.«
Cato sah den Trierarchen an, als wäre der ganz schön verrückt. Im Laufe des Tages kam ein leichter Nordwind auf, und das Flaggschiff signalisierte den anderen Kriegsschiffen, dass sie die Riemen einziehen und Segel setzen sollten. Das leise Rauschen und Zischen der am Rumpf vorbeistreichenden Wellen kam Cato nach dem monotonen Ächzen und Platschen der Riemen beruhigend vor. Er stand daneben, als Albinus seiner Besatzung befahl, die Segel nach seinen Vorstellungen zu trimmen. Dann blickte der Trierarch auf das hundert Meter weiter vorn segelnde Flaggschiff.
»Erster Offizier!«
»Herr?«
»Achte darauf, dass wir unsere Position beibehalten.«
Da die Sparta ein leichteres Schiff war, segelte sie schneller als die schwerfällige Quinquireme, und der Erste Offizier musste den Männern an den Schoten häufig befehlen, das rechteckige Segel killen zu lassen, damit die Trireme der Horus und den anderen Schiffe weiter vorn nicht zu nahe kam.
Als die Dämmerung sich auf die Flotte herabsenkte, und Himmel und Meer zu einer einzigen, düsteren Fläche verschmolzen, brachte eines der Besatzungsmitglieder eine Laterne aus dem Schiffsbauch herauf, ein schweres Bronzegestell mit Glasscheiben rundum. Die Öllampe im Inneren war bereits entzündet worden, und die matte Flamme spiegelte sich hell im glänzend polierten Zinnspiegel auf der Rückseite der Laterne. Ein Eisenhaken ragte aus dem Achtersteven heraus, und der Matrose hob die Laterne hoch und ließ ihren Griff über den Haken gleiten. Die Laterne schwankte leise im Takt mit den Bewegungen des Schiffs, und Cato sah, wie auf den Schiffen vor der Sparta weitere Lichter aufleuchteten. Das Ganze erinnerte ihn an die von den Anhängern des Mithraskults abgehaltenen Fackelprozessionen, die er gelegentlich im Lager der Zweiten Legion gesehen hatte.
»Achtung an Deck! Segel in Sicht!«
Cato blickte zum Masttopp auf, wo ein Mann, einen Arm um den Mast gelegt, rittlings auf der Rah saß. Mit dem anderen Arm zeigte er seitlich von der Flotte weg. Sofort gingen alle Blicke in die entsprechende Richtung. Cato spähte ins Dämmerlicht, erblickte aber nichts.
»Was hast du gesehen?«, rief Albinus dem Ausguck zu.
»Ein Lateinsegel, Herr. Ist gerade erst gesetzt worden. Keine zwei Meilen entfernt.«
»Zwei Meilen … « Albinus fuhr erschreckt zusammen. »Kannst du etwas erkennen?«
Das letzte Licht ließ schnell nach, und es folgte eine Pause, bevor der Ausguck seine Antwort nach unten rief: »Das Schiff ist näher an den Wind gesegelt und verschwunden. Es muss uns gesehen haben, Herr … Ich kann es nicht mehr ausmachen.«
»Verdammt«, knurrte Albinus.
»Glaubst du, dass das ein Piratenschiff war?«, fragte Cato.
»Höchstwahrscheinlich, Herr. Wenn man uns gesehen hat, dann wurden wohl auch einige der anderen Kriegsschiffe gesichtet, und dann weiß man jetzt auf diesem Schiff, dass wir die Flotte sind. Falls es ein Kauffahrer gewesen wäre, hätte er keinen Grund gehabt, kehrtzumachen und die Flucht zu ergreifen. Ich würde gutes Geld darauf setzen, dass es ein Pirat war.«
Cato schaute in die Richtung, in die der Ausguck gezeigt hatte. »Ich nehme an, gegen eine Flotte von unserer Größe hat man sich dort keine Chancen ausgerechnet.«
Albinus lachte. »Nicht einmal der frechste Pirat wäre dumm genug, uns anzugreifen.«
Cato wurde rot und ärgerte sich über sich selbst, weil er wie ein unerfahrener Rekrut geklungen hatte. Er blickte sich um und sah, dass Minucius den Kopf schüttelte. Der erfahrene Krieger hatte die Bemerkung offensichtlich gehört, und Cato war in seiner Achtung wohl noch weiter gesunken.
»Keine Sorge, Centurio«, fuhr Albinus fort. »Im Augenblick bist du in Sicherheit. Solange der Feind nicht weiß, dass hier eine Landratte wie Vitellius das
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