Die Prophezeiung von Tandoran - Verwundete Welt - Yoga/Fantasy-Roman: 1 (German Edition)
genoss die volle Konzentration auf das stürmische Wettrennen. Sie jagten eine ansteigende Wegstrecke empor, schossen durch einen dichten Wald und trieben das Tempo auf dem folgenden schnurgeraden Pfad noch einmal an.
Nach einigen Kilometern japste Callum knapp hinter Jason: „Genug, ihr habt gewonnen. Langsamer bitte.“
Doch auch ihm schien die Raserei gefallen zu haben. Als sie in lockerem Trab nebeneinander her schlenderten, war das Grinsen in ihren Gesichtern wie eingemeißelt. Jason dachte, dass sich Rhodon mit seinen 54 Jahren viel Jugendliches bewahrt hatte. Wortlos ritten sie eine Viertelstunde durch die warmen Strahlen der Sonne. Callum gab jeweils die Richtung vor.
Hinter einer Wegbiegung vernahm Jason ein Rauschen. Mit jedem Schritt wurde es lauter. Sie waren in bergigem Gelände mit tropischen Pflanzen angekommen. Vor ihnen öffnete sich der Blick auf einen gut fünfzehn Meter hohen Wasserfall, der sich in einen türkisfarbenen Teich ergoss. Rund um sie herum blühten exotische Blumen in vielfältiger Farbenpracht. Weiße Steine begrenzten das Ufer des Weihers.
Callum setzte ab und ließ Arvon auf einer kleinen Wiese grasen. Jason folgte seinem Beispiel und gab Gorum einen Klaps auf den Hintern. Rhodon ritt zu einer Anhöhe und platzierte sich im Schatten einer Weide. Von dort aus konnte er die Umgebung in weitem Radius übersehen.
Aus den Satteltaschen entnahm Callum zwei große Handtücher und eine Flasche mit Wasser. Nachdem beide ihren Durst gelöscht hatten, ging sein Lehrer zu einer tellergroßen Blüte hinüber. Er zeigte auf den orangefarbenen, mit weißen Streifen durchsetzten Kelch. „Bevor wir in den See springen, lass uns noch eine Übung durchführen. Stell dich direkt vor die Blume. Schaue sie intensiv an. Verweile im Anblick der Blüte, bis ich dir ein Zeichen gebe. Kein anderer Gedanke darf durch deinen Kopf wandern. Bleibe mit deinem Geist ganz bei der Schönheit dieser Pflanze.“
Nach diesen Worten zog er sich hinter Jason zurück. Zuerst fiel Jason die Aufgabe leicht. Er musterte die feinen Schattierungen der Farben, verfolgte mit seinen Augen die Muster der Pflanzenstränge. Doch dann kam ihm die abweisende Haltung von Shalyna in den Sinn. Sofort rätselte er darüber, ob sie ihn auch persönlich nicht leiden könne.
Komm zurück. Konzentriere dich , befahl er sich selbst.
Die Welt um die Blume herum verschwamm von Neuem vor Jasons Gesichtsfeld. Nur noch die Blüte war fokussiert. Jason bemerkte, wie ihn ein Gefühl tiefer Ruhe durchströmte. Eine handgroße Libelle flog auf eines der Blütenblätter, setzte auf und sirrte wieder davon.
Augenblicklich nahm Jason die Umgebung bewusster, lauter wahr, das Rauschen des Wasserfalles, das Gezirpe der Insekten, den Schrei eines weit entfernten Adlers. Enttäuscht stieß er einen erschöpften Seufzer aus.
Leise hörte er hinter sich Callum: „Kehr stets zum Objekt deiner Konzentration zurück. Ärgere dich nicht, bleibe gelassen. Lass einfach erneut die Blume deinen ganzen Geist ausfüllen.“
Jason atmete tief und langsam. Diesmal wurde die Umgebung deutlich schneller unscharf. Sein Atem ging flacher, die Atempausen verlängerten sich und sein Herz schien nur noch im Minutenschlag zu pulsieren. Die Welt bestand nur aus dieser wunderschönen Blume. Mit einem Mal spürte Jason das Leben in der Pflanze. Er fühlte die Bewegung der Flüssigkeit innerhalb der zarten Blätter, nahm die Härte des Stieles und die Kraft in der Wurzel wahr.
„Genug. Die Viertelstunde ist rum. Wie war es?“
Jason zuckte zusammen. Ganz allmählich wurde er sich seiner Umgebung bewusst. Er strahlte über beide Wangen. „Fantastisch. Die Zeit verging wie im Fluge. Ich fühlte mich am Ende geradezu eins mit der Pflanze. Sie genießt wie wir die Wärme, wirkt ... zufrieden.“
Anerkennend zog Callum seine Unterlippe nach vorne und lobte: „Eine Empfindung habe ich bei dieser Übung noch nie gespürt. Da bestätigt sich wieder einmal dein Spezialtalent. Eine echte Siddhi-Kraft.“ Er streichelte über die Blütenblätter. „Wiederhole die Übung, wann immer du möchtest. Du wirst sehen: Von Mal zu Mal wird es dir schneller gelingen, in einen Zustand tiefer Konzentration zu gleiten. Auch die Ablenkungen werden dich dann nicht mehr stören können. Diese Fähigkeit ist für einen Limarten ein großer Vorteil.“
Nach diesen Worten zog er sich nackt aus, legte seine Brille behutsam auf den Kleiderstapel und trat ans Ufer. Jason folgte seinem Beispiel
Weitere Kostenlose Bücher