Die Prophezeiung von Umbria
ein warmes Gefühl der Zufriedenheit. Doch er durfte nicht zulassen, dass Maura den Han in die Klauen fiel.
“Ich habe jetzt keine Zeit, mit dir zu streiten.” Er streifte seinen Packen von den Schultern und warf ihn hinter sich. “Tu, was ich dir gesagt habe, und mach, dass du schnell von hier verschwindest.”
Vorsichtshalber zog Rath sein Schwert. Noch brauchte er es nicht.
Doch Maura dachte nicht daran, seinem Befehl zu folgen. Stattdessen kroch sie näher an ihn heran. “Was ist eigentlich mit 'Ich kümmere mich immer zuerst um mich selbst' geschehen?”
Ja, was war aus seinem Wahlspruch geworden? Zählte ihr Leben für ihn jetzt mehr als sein eigenes?
Der Bogenschütze der Han schien zu glauben, dass er sie verjagt hatte. Vielleicht hatte er aber auch nur herausfinden wollen, ob sie bewaffnet waren und zurückschossen. Rath hörte ihn einen Befehl brüllen. Der andere Han begann über die Brücke zu laufen. Den Schild hielt er schützend vor sich.
“Können wir nicht die Seile kappen?”, fragte Maura.
Rath schüttelte den Kopf. “Wenn wir das versuchen, wird uns der Bogenschütze mit Pfeilen spicken. Wenn du schon nicht verschwinden willst, dann versteck dich wenigstens.” Er zog sie hinter einen dicht belaubten Busch. “Kannst du irgendetwas gegen die beiden auf der anderen Seite tun?”
“Damit die Magie wirkt, müsste ich näher bei ihnen sein.”
Ein verrückter Gedanke schoss Rath durch den Kopf. Wie, wenn man einen winzigen Beutel, gefüllt mit einem von Mauras Zaubermitteln, an einem Pfeil befestigen würde? Wenn der Pfeil sein Ziel traf, würde er den Beutel durchstoßen und das Mittel freisetzen.
Der Einfall war gar nicht so schlecht. Rath hoffte nur, dass er nicht trotzdem sterben würde, denn der Han-Soldat war schon fast über die Brücke.
Rath bereitete sich innerlich bereits auf den Kampf vor, als mit einem Mal ein seltsamer Wunsch in ihm erwachte. “Maura?”
“Was ist?”
“Falls ich getötet werde und du überlebst, willst du dann das Ritual des Hinübergehens an mir vollziehen?”
“Wenn du es wünschst, aber …”
Er wusste, was ihr Zögern zu bedeuten hatte. Und er schuldete ihr eine Erklärung. Wenn er es nur erklären könnte!
Doch ihm blieb keine Zeit. Der Soldat hatte ihre Seite der Schlucht erreicht.
Rath wandte sich zu ihr um. “Nur für den Fall”, flüsterte er. Und da seine Lippen ihr gerade so nahe waren, drückte er ihr einen flüchtigen Kuss aufs Ohr.
Einen Augenblick lang war Maura völlig verblüfft. Am liebsten hätte sie gleichzeitig gelacht und geweint über seinen ersten zaghaften Versuch, sich dem alten Glauben zu nähern. Doch die Vorstellung, wie sie über seinen toten Körper die Worte des Rituals sprechen würde, erfüllte sie mit dem gleichen Entsetzen wie der Blick von der Brücke hinunter in Raynors Spalte.
Durch das Zweige der Hecke konnte sie beobachten, wie der Soldat sich vorsichtig umblickte, bevor er die Brücke verließ. Etwas weckte seine Aufmerksamkeit und ließ ihn zwischen die Bäume treten.
Rath nutzte diesen Moment und sprang mit gezücktem Schwert aus dem Gebüsch hervor. Mit einem hässlichen Geräusch traf die Waffe auf die metallene Rüstung des Mannes.
Maura zuckte zusammen. Voller Entsetzen sah sie, dass die Rüstung des Han von Raths Hieb nur angekratzt war.
Wie sollte Rath, der nur durch sein wattiertes Lederwams geschützt wurde, gegen den Han in voller Rüstung bestehen können?
Sie musste einen Weg finden, ihm zu helfen.
Die Männer kämpften so dicht beieinander, dass sie es nicht wagte, einen Zauber über den Han zu legen. Statt ihn hätte sie Rath treffen können.
Während sie weiterhin zusah, wie die Männer miteinander kämpften und sich vor den Schwerthieben duckten, wurde ihr klar, dass Rath gar nicht so sehr im Nachteil war, wie sie zuvor geglaubt hatte.
Ohne die Last einer schweren Rüstung konnte er sich freier und schneller bewegen. Am besten konnte sie ihm im Augenblick wahrscheinlich damit helfen, indem sie dafür sorgte, dass er es nur mit einem Feind zu tun hatte.
Sie kroch um den Busch herum und suchte sich eine Stelle, von wo aus sie die Brücke überblicken konnte. Immer noch zog sich ihr der Magen zusammen, und sie wurde von Schwindel gepackt, wenn sie in die Tiefe blickte. Doch dann entdeckte sie etwas, das ein größeres Entsetzen in ihr weckte.
Der Bogenschütze hatte die Brücke betreten.
Wie konnte sie ihn aufhalten? Ihre Zaubermittel waren ihre einzige Waffe, und die
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