Die Prophezeiung von Umbria
fühlte sich heiß an in ihrer Hand. Sie spürte, dass es eine Hitze war, die schnell ihr Herz erreichen und auf dem Weg dahin alle Gefühle verdorren lassen konnte.
“Hier, nimm ihn!” Maura drückte Rath den Stab in die Hand und eilte zu dem toten Han zurück. Mit aller Macht gegen ihren Ekel ankämpfend, biss sie die Zähne zusammen und zog dem Soldaten den Bogen von der Schulter. Dann nahm sie noch einen Pfeil aus seinem Köcher.
Sie hatte zwar noch nie mit einem Bogen geschossen, doch sie hatte anderen dabei zugesehen. Auch wenn der Pfeil sein Ziel verfehlte, würde es sich der Schwarzmagier wohl zwei Mal überlegen, ob er die Brücke überqueren würde. Und das gäbe Rath Zeit, sich von dem Angriff zu erholen und selbst den nächsten Pfeil abzuschießen.
Erleichtert sah Maura, dass der Echtroi noch nicht einmal die Hälfte der Brücke hinter sich hatte. Mit zitternden Fingern legte sie den Pfeil auf. Es erforderte erstaunlich viel Kraft, die Sehne zu spannen. Maura dankte still dem Allgeber für jeden Eimer Wasser, den sie aus Langbards Brunnen hatte heraufziehen müssen.
Jetzt musste sie nur noch zielen. Sie hatte beobachtet, dass Bogenschützen immer ein Auge zukniffen – aber welches? Vielleicht war das auch nicht so wichtig. Jedenfalls konnte sie die straff gespannte Sehne nicht länger halten.
Der Pfeil zischte davon. Auch wenn er den Schwarzmagier um einige Fuß verfehlte, so erregte er doch seine Aufmerksamkeit.
Er hob den Stab und deutete damit auf Maura.
Sie wirbelte herum und wollte davonlaufen. Noch bevor sie einen Schritt hatte machen können, schoss der Schmerz durch ihren Körper. Ein Schmerz, so bodenlos wie Raynors Spalte. Und genauso fürchterlich, genauso entsetzlich. Er schmerzte wie eine alles austrocknende Eiseskälte. Maura war, als würde sie von scharf gezackten Scherben aus Eis durchbohrt. Doch es fehlte die heilende Fähigkeit des natürlichen Eises, das Schmerzen betäuben kann.
Maura hörte sich schreien, aber die Schreie brachten ihr keine Erleichterung.
Noch hatte die Qual nicht all ihr Denken ausgelöscht. Sie versuchte, von Krämpfen geschüttelt, sich näher an den Rand der Schlucht zu schieben. Der Schmerz, der sie in der Tiefe dort unten erwartete, konnte nicht schlimmer sein als der, der sie jetzt quälte. So hätte wenigstens alles Leid ein Ende.
“Maura!” Wie von weit her drang Raths Stimme an ihr Ohr.
Sie war wie eine Flamme, voller Wärme, die plötzlich diese alles durchdringende mörderische Eiseskälte durchdrang.
“Nimm das! Halte dich daran fest!”
Sofort ließ der Schmerz nach. Er war jetzt erträglich. Doch etwas anderes nahm seinen Platz ein – eine bleierne, bedrückende Dunkelheit. Sie presste Maura nieder, erstickte alles Leben in ihrem Körper und ihrem Geist.
Wenn diese Finsternis sich nicht bald heben würde, wartete etwas Schlimmeres auf Maura als der Tod, das wusste sie. Das Untier würde sie vernichten.
Was hatte er getan? Rath beugte sich über Maura. Er hatte nur ein Ziel gehabt, sich und sie zu retten.
Sich hatte er gerettet – war das Maura zum Verhängnis geworden?
Der Schmerz zerriss ihm fast das Herz. Diesmal war kein fluchbeladener Edelstein daran schuld, aber die Qual war genauso entsetzlich.
Er löste Mauras Hand von dem Kupferstab und tastete dann an ihrem Hals nach dem Puls.
Da war er. Langsam und unregelmäßig, aber er war da. Rath musste schnell etwas tun, um Maura wieder ins Bewusstsein zu rufen.
Was war das nur für ein Trank gewesen, den sie damals zusammengebraut hatte, als sie Langbard wieder zum Leben erwecken wollte? Er konnte sich nicht an den Namen des Krauts erinnern.
Doch Namen waren nicht so wichtig. Er rief sich die Nacht in allen Einzelheiten ins Gedächtnis zurück, versuchte sich sogar an die Gerüche zu erinnern. Er würde das richtige Kraut finden, und wenn er an jeder einzelnen Tasche ihres Schultergurts riechen müsste.
Doch zuerst musste er Wasser heiß machen.
Der Han-Soldat hatte ihn am Arm verletzt, doch die Wunde blutete bereits nicht mehr. Die Rippen taten ihm weh von einem Schlag, den seine wattierte Weste aber abgefangen hatte. Und jede Faser seines Körpers schmerzte von dem Angriff des Schwarzmagiers.
Trotzdem raffte er hastig einige Zweige zusammen und durchwühlte dann sein Bündel nach Feuerstein, Kessel und Wasserschlauch. Als das Feuer unter dem Kessel brannte, suchte er nach dem richtigen Kraut.
Er rief sich das Bild der Brandnacht wieder ins Gedächtnis und erinnerte
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