Die Prophezeiung von Umbria
zu. Nach einem kurzen Zögern lächelte er zurück – ein kümmerliches, verkniffenes Lächeln, gerade so, als wäre er es nicht gewöhnt zu lächeln.
Kurz darauf trat eine Frau mit einem plärrenden Säugling auf dem Arm aus dem Haus. Ein kleines Mädchen klammerte sich an ihre Röcke. Als Maura auch ihnen zulächelte, verfinsterte sich der Blick der Frau, und das Mädchen versteckte sich hinter ihr.
“Rath?”, unterbrach ihn Maura. “Kannst du die Frau fragen, was dem Kind fehlt? Vielleicht kann ich ihm helfen.”
Bei ihren Worten zuckte die Frau zusammen. “Ihr sprecht noch Umbrisch?”
Maura nickte. “Das ist die einzige Sprache, die ich wirklich sprechen kann.”
Sie ging langsam auf die Frau und ihre Kinder zu, immer bereit, jederzeit stehen zu bleiben, wenn man sie dazu aufforderte. Hinter sich hörte sie, wie Rath und der Bauer jetzt ebenfalls ins Umbrische wechselten. Sie sprachen über die Heuernte und eine Reise nach Norden.
“Wir kommen von der anderen Seite des Gebirges”, erzählte sie der Frau, “und sind nur auf der Durchreise. Wir wollen Euch nichts Böses. Wenn das Kleine krank ist, dann weiß ich einige Heilmittel.”
“Wirklich?” Die Frau strich sich ein paar dünne Haarsträhnen aus dem Gesicht. “Seit Tante Roon gestorben ist, gibt es keine Heiler mehr in dieser Gegend. Die Han sagen, dass die Starken überleben und …”
Maura wollte den Rest gar nicht hören, aus Angst, sie könnte vielleicht etwas Unüberlegtes sagen. “Wir sind keine Han.”
Das allein konnte ja wohl noch nicht als aufrührerisches Gerede verstanden werden. Und doch war diese einfache Feststellung schon fast eine Revolution.
Sie waren keine Han. Sie konnten nie Han sein. Sie konnten es noch nicht einmal versuchen. Sie waren anders. Mit einer anderen Sprache und einem Glauben, den sie nicht aufgeben durften. Denn dann würden sie gar nichts sein.
Die Frau schien sie verstanden zu haben. Die Angespanntheit in ihrem abgehärmten Gesicht ließ nach. Sie hielt Maura das Kind hin. Es war eine Geste voller Vertrauen, die Mauras Herz rührte. “Er hat die Auszehrung, das arme Würmchen. Essen geht einfach durch ihn hindurch, aber es tut ihm nicht gut. Ich habe schon drei Kinder durch die Auszehrung verloren.”
Voller Mitleid für die Mutter wiegte Maura das dünne, verhungernde Kind in ihren Armen. “Ich habe einen Heiltrank, der ihm helfen wird. Wenn Ihr mir etwas Wasser heiß machen könntet?”
“Kann ich!” Die Frau lief ins Haus zurück und stolperte in ihrer Hast fast über ihre Röcke. “Kommt herein und seid willkommen. Verzeiht uns den rauen Empfang. Mit einigen Reisenden, die von den Hügeln herunterkommen, wollen wir lieber nichts zu tun haben. Und wenn Ihr den Kleinen schon behandelt, Velsa hat Würmer und der junge Blen ein böses Geschwür im Nacken.”
“Ich werde tun, was ich kann.” Maura folgte der Frau ins Haus und schwor sich, diese Familie bei ihrer Abreise in einem besseren Gesundheitszustand zurückzulassen, als sie sie vorgefunden hatte. Sie würde der Mutter so viel Wissen wie möglich über die üblichen Heilmittel beibringen. Sie musste ihr nur versprechen, ihr Wissen auch an die Nachbarn weiterzugeben.
Vielleicht spürte das Kind, dass Maura ihm helfen wollte, denn es wurde in ihren Armen ganz still. Zärtlich streichelte sie die winzige Wange mit dem Finger.
Rath rief hinter ihr her: “Hast du etwas dagegen, wenn wir einige Tage hier bleiben? Blen sagt, wenn wir ihm bei der Heuernte helfen, können wir mit ihm bis nach Venard fahren, wo er es zum Markt bringt. Er sagt, er wäre froh, wenn ich ihm dabei helfen würde, es sicher dorthin zu bringen.”
“Ich habe ganz und gar nichts dagegen.” Maura drehte sich mit dem kranken Kind im Arm zu ihm um. “Wie es aussieht, kann hier einer dem anderen helfen.”
Selbst aus dieser Entfernung konnte sie erkennen, wie Raths Züge beim Anblick des Kindes weich wurden. “Ein glücklicher Zufall, dass wir hier vorbeigekommen sind.”
Sie beide auf einem Heuwagen, der nie und nimmer den Verdacht der Han erregen würde?
“Das ist kein Glück, Rath. Und es ist auch kein Zufall.”
Wieder einmal schien es ihr, als hätte der Allgeber ihnen zugelächelt.
22. KAPITEL
R ath unterdrückte ein Grinsen, als Blen Maynolds hochbeladener Heuwagen über die Landstraße nach Venard fuhr. Sie hatten bereits mehrere Mautstellen passiert, und immer hatten die Offiziere sie durchgewinkt, ohne ihnen auch nur einen Blick zu schenken.
Er
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