Die Prophezeiung von Umbria
dorthin gekommen war.
Maura goss das dampfende Wasser über die Teeblätter und atmete tief ihren beruhigenden Duft ein. Vergebens versuchte sie, das Gefühl von Sicherheit in sich wachzurufen. “Ich hoffe nur, dass keiner der Soldaten kommt und Fragen stellt.”
“Das hoffe ich auch.” Sorsha nagte an ihrer Unterlippe. “Sie könnten sich sonst über das schwarze Wams und die Hosen auf deiner Wäscheleine wundern. Ich habe Langbard so etwas noch nie tragen sehen.”
Die Kanne zitterte in Mauras Hand und Tee schwappte über den Rand von Sorshas Becher.
“Verzeih!”, stotterte Maura. “Ich bin heute Morgen aber auch zu ungeschickt.”
Schnell setzte sie die Teekanne ab und griff nach einem Tuch, um die kleine Pfütze wegzuwischen. Währenddessen suchte sie verzweifelt nach einer Erklärung.
“Ach, diese Kleider!” Sie zwang sich zu einem überraschten Lachen. “Die gehören … Langbards Neffen. Er ist zu Besuch gekommen aus … Tarsh. Deswegen sind wir gestern nicht lange im Betchwood-Wald geblieben, denn wir trafen ihn auf dem Weg.”
“Soso”, meinte Sorsha und kniff misstrauisch die Augen zusammen, während sie vorsichtig einen Schluck nahm. “Reisende aus Tarsh nehmen nicht oft den Landweg.”
“E…er wird immer seekrank”, erwiderte Maura und achtete darauf, dass ihre Hand diesmal nicht zu sehr zitterte, während sie ihrer Freundin Tee nachgoss.
“Ich habe gar nicht gewusst, dass Langbard außer dir noch Familie hat. Übrigens, ist er nicht aus Westborne?”
“Was? … Oh … ja, natürlich.” Um Zeit zu gewinnen, nahm Maura einen großen Schluck und verbrühte sich fast den Mund. “Aber seine Schwester … seine Halbschwester … seine viel jüngere Halbschwester … lebt mit ihrer Familie in Tarsh. Ihr Sohn will die Alten Wege studieren … und deshalb kam er zu Langbard.”
“Langbard wird sich sicher freuen.” Sorsha nickte, als glaubte sie Maura jedes Wort. “Die Han haben unser Volk die Alten Wege fast vergessen lassen. Ich habe gehört, dass jenseits des Gebirges kaum einer mehr
Twara
sprechen kann oder sich einen Deut um den Allgeber kümmert. Ich freue mich darauf, ihn kennen zu lernen, diesen Neffen. Wie heißt er eigentlich?”
“Ra…Ralf.” Maura war erleichtert, dass ihr ein Name eingefallen war, der dem richtigen ähnelte. “Langbard ist sehr froh, ihn hier zu haben.”
“Und du nicht?” Sorsha warf der Freundin einen scharfen Blick zu. “Sicher, weil du dich jetzt um noch einen Mann mehr kümmern musst. Lass dich von den beiden nur nicht ausnutzen. Wie ist er denn so, dieser Ralf? Der Kleidergröße nach zu urteilen ein ganz schön großer Kerl.”
“Ja, er ist groß.” Ihr armer Rücken wusste ein Lied davon zu singen.
“Und?”, bohrte Sorsha weiter. “Dunkel? Hell? Gut aussehend? Hässlich? Nett?”
Maura wusste nicht, ob ihr das Interesse, das ihre Freundin plötzlich zeigte, gefiel. Es ging über nachbarliche Neugier hinaus. “Nicht dunkel. Und auch nicht hässlich, wenn er sich ein bisschen herrichtet. Seine Manieren sind ein wenig … ungehobelt.”
“Aus Tarsh?” Sorsha lachte. “Das hätte ich mir denken können. Ungehobelt oder nicht, ich glaube Newlyn würde ihn gerne kennen lernen. Kommt doch am Markttag zu uns. Sag Langbard, dass ich sein Lieblingsessen kochen werde, Schweinefleisch mit Klößen.”
Würden sie dann überhaupt noch hier sein? Der Gedanke schnürte Maura die Kehle zu.
“Ich werde Langbard fragen und sage dir dann, was er davon hält.” Sie wusste nicht, was schwerer zu ertragen sein würde – das Abschiedsmahl mit ihren Freunden oder das heimliche Davonschleichen ohne ein Abschiedswort.
Sorsha trank ihren Tee aus. “Ich muss wieder nach Hause, bevor sich Newlyn Sorgen um mich macht. Jetzt weiß ich ja, dass es Euch gut geht.”
Maura holte ein kleines Töpfchen mit Salbe für Newlyns Verbrennungen und eines mit Königinnenbalsam für den Sohn von Prin Howen. Sie winkte Sorsha noch zum Abschied zu und nahm dann schnell Raths noch feuchte Kleider von der Leine, bevor sie ins Haus zurückging.
Während sie langsam die Treppe hinaufstieg, war sie in Gedanken bei den einschneidenden Veränderungen, die ihr bevorstanden. Sie hatte beschlossen, die Kleider in Raths Kammer vor dem Kamin zu trocknen. Sie entschied sich, nicht anzuklopfen, denn vielleicht schlief er ja noch, und sie konnte hinein- und wieder hinausschlüpfen, ohne ihn zu wecken.
Vorsichtig schob sie die Tür auf und betrat auf Zehenspitzen den
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