Die Prophezeiung von Umbria
lockten. Oder er ging jetzt einfach und überließ diese verrückte Person ihrem Schicksal.
Während Pflichtbewusstsein und Selbsterhaltungstrieb miteinander kämpften, hörte Rath sich fragen: “Wie lange werdet Ihr für diese Sache brauchen?”
Maura tastete nach Langbards Hand. “Wie lange könnt Ihr uns geben?”
“Eine Stunde. Nicht mehr. In dieser Zeit müsste ich eine flache Grube ausgehoben haben.”
“Eine Stunde”, erwiderte Maura mit zitternder Stimme. Dann deutete sie auf einen kleinen Schuppen im Garten. “Dort findet Ihr einen Spaten.”
Rath nickte und ging. Es war sicher gut, wenn er jetzt körperlich arbeitete. Dann sah er vielleicht für die nächste Stunde nicht hinter jedem Baum die Magier des Todes.
“Wartet!”
Maura streckte die Hand nach ihm aus. Was wollte sie? Er konnte jetzt keine Zeit mit Trösten verschwenden.
Doch sie sah so verloren aus, wie sie da neben dem toten Körper ihres Beschützers auf dem kalten Boden kniete, hinter ihr das brennende Cottage, das einmal ihr Zuhause gewesen war.
“Was ist?” Mit müden Schritten ging er zu ihr.
Der Gang ins Dorf hatte ihn mehr erschöpft, als er zugeben wollte. Und wenn er an das Graben dachte, tat ihm der verletzte Arm jetzt schon weh.
Als er näher kam, sah er, dass sie ihm etwas auf der flachen Hand entgegenstreckte.
“Schluckt das, wenn Ihr könnt. Es wird Euch Kraft geben.”
Angeekelt verzog Rath das Gesicht. Das hier war Magie – mächtige, gefährliche Magie.
Aber wie konnte er sich weigern, wo Maura um seinetwillen dieses grauenhafte Zeug damals im Betchwood-Wald geschluckt hatte?
Vorsichtig nahm er es mit spitzen Fingern. Es fühlte sich wie ein fetter, haariger Käfer an.
Maura reichte ihm das Schöpfgefäß. “Ihr könnt es mit dem, was da noch drin ist, runterspülen. Die Bärenessenz wird Euch Kraft geben und der Lebensblatt-Tee Eure Energie stärken.”
“Hört sich großartig an.”
Rath würgte den Klumpen hinunter. Es schmeckte genau so furchtbar, wie er vermutet hatte.
Schnell nahm er einen großen Schluck von dem Tee. Glücklicherweise schmeckte der besser, trotz des leichten Beigeschmacks von verbranntem Holz.
“Jetzt wiederholt diese Worte”, forderte Maura ihn auf. Und sie sagte etwas in einer Sprache, die Rath als Altumbrisch erkannte.
“Könnt Ihr das nicht sagen?”, fragte er.
“Schon, aber die Wirkung ist größer, wenn Ihr es selbst tut. Kommt schon, der Spruch ist weder lang noch schwierig.”
Er hatte keine Zeit, mit ihr zu streiten. Widerstrebend murmelte er die seltsamen Worte, während er sich fragte, was sie wohl bedeuteten. Hoffentlich machte er keinen Fehler, der dem Zauber eine andere Wendung geben würde, und er wäre auf einmal taub oder begänne zu schrumpfen.
“Ich fühle keinen Unterschied”, brummte er, als die Beschwörung vorüber war.
Maura antwortete nicht.
“Braucht Ihr noch irgendetwas?”, fragte er. “Kann ich etwas für Euch tun … bevor ich … an die Arbeit gehe?”
Er war es nicht gewöhnt, jemandem seine Hilfe anzubieten, und hatte ein eigenartiges Gefühl dabei. Aber es drängte ihn, Maura einen Gefallen zu tun.
“Ihr könntet das Schöpfgefäß wieder füllen”, erwiderte Maura. “Ich werde für das Ritual Wasser brauchen, um meinem Onkel die Sorgen dieser Welt abzuwaschen, damit sie seinen Geist nicht belasten.”
Während sie sprach, starrte sie auf Langbard nieder. Der Kummer schien sie einzuhüllen wie ein schwerer Mantel.
Rath eilte zum Brunnen und erinnerte sich an einen anderen Tod, vor langer Zeit – der letzte, bei dem er zugelassen hatte, dass er ihm das Herz zerriss.
Als er an dem Seil zog, war er verblüfft, wie schnell er den schweren Eimer oben hatte. Seine Schwäche war verschwunden, ebenso die Schmerzen im Arm. Ansonsten fühlte er sich wie immer.
Er lief rasch zu Maura zurück und gab ihr das volle Schöpfgefäß. “Der Zauber wirkt. Wenn der Spaten es aushält, werde ich Langbard in einer Stunde einen würdigen Ruheplatz geschaufelt haben.”
Forschend blickte sie ihm ins Gesicht, suchte … wonach nur?
“Warum tut Ihr das? Ich weiß, dass Ihr nicht an das Ritual glaubt.”
“Nein, tue ich nicht.” Es gab nur eine Erklärung, auch wenn sie keinen Sinn ergab.
“Aber Ihr tut es.”
Da ihn dieses Eingeständnis verwirrte, fügte er barsch hinzu: “Dann fangt endlich an.”
Maura hatte das Ritual des Hinübergehens, wie auch alle anderen Rituale, Zaubersprüche, Sprachen und Legenden, welche die Alten
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