Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
Unterstützung.
»Die sollen zumindest die Ausgänge absichern«, sagte sie zu Samson und Schönlieb.
Anschließend machte sich jeder in eine andere Richtung auf den Weg. Im Laufschritt ging Schönlieb den kleinen Weg entlang und machte sich dabei immer wieder groß, um über die bauchhohen Hecken hinweg in alle Winkel der Gärten einsehen zu können. Hinter jeder Hecke konnte sich Benjamin verstecken. Fast alle kleinen Hütten waren verriegelt und die Fenster mit Holzläden verschlossen, viele der kleinen Obstbäume waren in Plastikabdeckungen gehüllt. Jetzt im Winter wirkte die Kleingartenkolonie wie ein Geisterdorf, aus dem die Bewohner in andere, große Städte geflüchtet waren.
Schönlieb blieb kurz stehen und lauschte, doch das Einzige, was er hören konnte, war sein eigener Atem. Plötzlich vibrierte sein Handy in der Hose, und der künstliche Torjubel seiner Fußball-App schallte durch die Luft. St.Pauli! Das hatte er ganz vergessen. Das Spiel. Auswärts in Ingolstadt. Er zog sein iPhone aus der Tasche und vergaß für einen Moment alles um sich herum. 0:1, Tor für St.Pauli. Schönlieb ballte kurz die Faust.
»Geht doch«, sagte er leise.
Da sprang plötzlich zwei Meter vor ihm Benjamin aus dem Gebüsch und lief davon. Schönlieb brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, was gerade passiert war. Dann hatte er den kurzen Triumph vergessen und war mit dem Gedanken wieder bei Benjamin. Er sprintete los.
Er hätte schwören können, dass er noch nie in seinem Leben so schnell gelaufen war wie in diesem einen Moment. Benjamin würde ihm nicht noch einmal entkommen! Er hatte ihn vor Augen, er kam näher heran. Seine Kehle brannte, er kam mit dem Luftholen nicht hinterher. Benjamin war direkt vor ihm, in greifbarer Nähe. Schönlieb nahm all seine Kraft zusammen und sprang Benjamin hinterher. Er wollte ihn an den Schultern zu Boden ziehen, doch er verfehlte die Schultern, fast verfehlte er ihn komplett, dann wäre er weg gewesen, doch er bekam seinen Fuß zu fassen. Er zerrte an dem Fuß und war wild entschlossen, ihn nie wieder loszulassen, wenn es sein musste. Benjamin trat nach ihm und erwischte ihn im Gesicht, doch Schönlieb würde nicht loslassen. Er presste den Fuß an seinen Körper und versuchte sich mit der anderen Hand nach oben zu arbeiten. Er zerrte an Benjamin und zog ihn immer weiter unter seinen Körper. Benjamin schlug und trat um sich. Mehrmals traf er Schönlieb, doch dieses Mal hatte er ihn, egal was Benjamin machte, er würde ihn nicht loslassen. Er hatte ihn jetzt fast komplett unter sich. Benjamin wehrte sich weiter und schrie. Auch Schönlieb schrie. Er kam sich vor wie ein wildes Tier, ein Löwe, und er hatte Benjamin, die Gazelle, am Bein erwischt, und jetzt würde er ihn in Stücke reißen. Schönlieb schrie noch lauter und fing an, mit seiner freien Hand auf Benjamin einzuschlagen, ohne zu sehen, wohin er schlug. Plötzlich wurde Schönlieb nach hinten in die Höhe gezogen und ein paar Meter zurückgeworfen. Erst begriff er nicht, was vor sich ging. Dann sah er, wie Samson auf Benjamin kniete und ihm Handschellen anlegte. Erschöpft saß Schönlieb auf dem Boden. Mit der Handoberfläche taste er nach seiner Lippe. Er blutete. Sein iPhone vibrierte, und schon wieder ertönte der Torjubel. Er schaute nicht nach, das musste das 2:0 für St.Pauli gewesen sein. Es konnte nicht anders sein.
Kapitel 44
Schönlieb drückte das Taschentuch auf seine Lippe. Er hatte einen Schatz gefunden, wobei »gefunden« nicht der richtige Ausdruck war. Er hatte ihn nicht einmal suchen müssen. Er stand einfach da, auf dem Schreibtisch von Benjamin. Der Laptop von Huynh.
Schönlieb war es gar nicht sofort aufgefallen, als sie das Zimmer zum ersten Mal betreten hatten, doch auf Benjamins Schreibtisch hatten zwei Notebooks gestanden. Schönlieb hatte beide gestartet, und sofort war klar gewesen, dass der zweite Huynh gehört hatte. Wohlleben hatte recht gehabt. Benjamin hatte den Laptop gestohlen. So hatte er Zugriff auf das E-Mail-Konto von Huynh und konnte sich das Passwort für den Online-Speicher zuschicken lassen, auf dem die Bilder lagen, die die Kamera in Meiningers Büro aufgenommen hatte.
Jetzt war sich Schönlieb zu hundert Prozent sicher, den Täter bekommen zu haben. Er war gespannt, was Benjamin zu seiner Verteidigung zu sagen hatte. Er klappte den Laptop zu und klemmte ihn unter seinen Arm. Er wollte das Zimmer gerade verlassen, als sein Blick auf den Kleiderschrank fiel. Er stand einen
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