Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
Trotzdem, sie blieb zu. Kurz dachte ich, drinnen Geräusche gehört zu haben, aber als ich noch mal lauschte, war nichts zu hören. Ich beschloss, auf Professor Meininger zu warten, und setzte mich draußen auf dem Flur an die Wand. Ich dachte, er würde schon kommen, schließlich wusste er, dass ich arbeiten musste. Nach ein paar Minuten ging dann die Tür auf, allerdings von innen, also war wirklich jemand im Büro gewesen. Eine junge Studentin kam heraus, beachtete mich gar nicht und verschwand. Als ich in das Büro ging, saß Meininger an seinem Schreibtisch. Er sagte, er habe der Studentin etwas erklären müssen, und sie brauchten dabei Ruhe. Mein Rütteln hatten sie gar nicht gehört, weil sie so vertieft in die Arbeit gewesen waren. Ich hab ihm das geglaubt. Naiv, oder? So im Nachhinein. Verdammt naiv.«
»In der Tat, sehr naiv«, bestätigte Schönlieb. »Was hat Huynh dazu gesagt?«
»Er war ganz aufgeregt, als ich ihm von dieser Situation erzählte, kam aber erst ein, zwei Wochen später wieder darauf zurück. Er bot mir an, eine nicht geringe Menge der Brainbooster umsonst zu beziehen, wenn ich bei Professor Meininger eine Kamera installieren würde. Er hatte alles vorbereitet, und ich ließ mich darauf ein. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Kamera nichts Besonderes aufzeichnen würde, außer, wie Professor Meininger in seinem Büro saß und arbeitete. Dann hätte ich nach ein paar Tagen die Kamera wieder entfernt, und nichts wäre passiert.«
Benjamin lehnte sich zurück und wischte sich ein paar schon angetrocknete Tränen von der Wange. Er schaute auf den Tisch. Vielleicht war es dieser Moment, an dem er noch alles hätte verhindern können.
»Aber es kam anders«, folgerte Schönlieb.
Benjamin schüttelte leicht den Kopf, als könnte er das, was er jetzt erzählen würde, immer noch nicht glauben.
»Nach ein paar Tagen kam Huynh auf mich zu und sagte, ich würde die Pillen ab jetzt immer kostenlos bekommen. Ich müsste die Kamera aber an Ort und Stelle lassen und darauf achten, dass Professor Meininger keinen Verdacht schöpfte. Ich fragte ihn, was er so Interessantes aufgenommen hatte, und da zeigte er mir auf seinem Handy ein paar Bilder.« Benjamin machte eine Pause. »Professor Meininger hatte auf den Bildern Sex mit einer Studentin, und man sah ziemlich deutlich, dass das nicht freiwillig war.« Benjamin schüttelte noch heftiger mit dem Kopf. »Ich hab zu Huynh gesagt, dass wir das auf jeden Fall sofort dem Dekan melden müssten, oder der Polizei, der Presse, was weiß ich, auf jeden Fall mussten wir etwas tun, um Meininger das Handwerk zu legen. Aber Huynh lachte nur und sagte, dass er das ganz bestimmt nicht machen würde, dass wir gerade eine Geldquelle gefunden hätten, von der kein anderer etwas wüsste. Wir müssten jetzt nur noch fröhlich das Geld abzapfen. Er wollte Professor Meininger erpressen.«
»Er wollte oder er hat?«, fragte Schönlieb und dachte daran, wie Meininger das Büro auf der Suche nach der Kamera verwüstet hatte. »Meininger schien erst nach Huynhs Tod von der Kamera erfahren zu haben.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte Benjamin. »Huynh wollte erst noch ein paar Beweise mehr sammeln. Je mehr Studentinnen er vögelt, desto teurer wird’s, hat er behauptet. Und dann … na ja … dann kam unser Streit dazwischen. Ich hab immer wieder auf ihn eingeredet, dass wir das öffentlich machen müssen, dass wir das Böse bekämpfen und nicht erpressen müssten. Das machte uns doch nur zu schlechteren Menschen, oder nicht? Wir sind doch Juristen!«
Benjamin schaute Schönlieb an, als erwartete er Zustimmung. Schönlieb wusste nicht, was er dazu sagen sollte, und hoffte, Benjamin würde einfach weiterreden.
Das tat er.
»An dem Abend gingen wir zusammen aus der Bibliothek über den Campus und stritten über die Sache. Huynh sagte, er würde Meininger am nächsten Tag eine E-Mail schicken. Er hatte alles vorbereitet. Da sagte ich ihm, dass ich das nicht zulassen würde. Ich würde keine Erpressung begehen! Das war mir eine Nummer zu groß. Ich sagte ihm, ich würde alles, was ich wusste, dem Dekan und der Polizei sagen. Da wurde er wütend. Verdammt wütend. Er zerrte an mir herum und schlug mir sogar einmal ins Gesicht. Da nahm ich meinen Schönfelder und schlug nach ihm.«
»Deinen was?«, fragte Schönlieb.
»Meinen Schönfelder, den Ziegelstein.« Benjamin schaute immer noch in Schönliebs ausdrucksloses Gesicht. »Ein Buch. Ein großes, dickes Gesetzesbuch.
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