Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
Vielleicht gibt das meinem Studium einen neuen Schwung. Letztes Semester hatte ich große Schwierigkeiten mit dem Lernen und der Konzentration«, sagte Schönlieb. Er versuchte dabei etwas jugendlicher zu klingen als sonst. Was für ein Schwachsinn , dachte er sich, als er es bemerkte, Johann war vielleicht ein Jahr jünger als er selbst.
»Hey!« Johann hob den Arm und winkte. Kurz darauf kam eine junge Frau zu ihnen an den Tisch. Johann und sie begrüßten sich mit einem Kuss auf den Mund.
»Das ist Christoph«, sagte Johann und nickte zu Schönlieb. Das Mädchen schaute zu ihm und nickte nur kurz, dann wandte sie sich wieder an Johann. Schönlieb betrachtete sie. Sie sah jünger aus als Johann. Sie hatte ein schönes, schmales Gesicht, ihre braunen, welligen Haare fielen ihr bis auf die Schultern. Johann und sie unterhielten sich kurz, und es schien dabei um eine Party am Donnerstag zu gehen. Allerdings war es um sie herum so laut, das Schönlieb nicht jedes Wort verstehen konnte. Doch am Ende war er sich sicher, gehört zu haben, wie Johann »Brauchst du noch welche?« fragte, woraufhin das Mädchen den Kopf schüttelte und verschwand.
Johann schaute auf die Uhr.
»Wir müssen los.«
Schönlieb folgte Johann zurück ins Rechtshaus. Wieder gingen sie durch den hässlichen Flur und kamen zu dem großen Klotz. Diesmal liefen sie jedoch nicht um den Klotz herum, sondern gingen links durch eine große Holztür in den Vorlesungssaal.
Der Saal war etwa zur Hälfte gefüllt. Eine kleine Traube Zuhörer hatte sich in die vorderen Stuhlreihen gesetzt, eine etwas größere Ansammlung von Studenten und Studentinnen in die hinteren Reihen, und dazwischen saßen einzelne Studenten wie kleine Farbkleckse in den schwarzen Stuhlreihen. Vorne am Pult stand bereits der Professor und sprach ins Mikrofon, während er etwas von einem Zettel ablas.
Johann begrüßte einige seiner Kommilitonen mit leichtem Nicken, während sie sich einen Platz in der Mitte suchten. Sie zwängten sich in eine Reihe und klappten die Stühle und die Tische herunter. Schönlieb fühlte sich an Reisen mit dem Flugzeug oder mit der Bahn erinnert. Johann lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Schönlieb blickte sich um. Einige der anderen Studenten schrieben hastig und ununterbrochen jedes Wort des Professors in ihre dicken Blöcke, ab und zu blickten sie mit roten Wangen angestrengt hoch und holten Luft. Das sah schon fast aus wie Leistungssport. Andere schien die Vorlesung überhaupt nicht zu interessieren. Sie redeten mit dem Sitznachbarn oder der Sitznachbarin, malten verträumt auf irgendwelchen Zetteln, schauten aus der großen Fensterwand oder taten es Johann gleich und machten einen Mittagsschlaf. Den Professor schienen weder die einen noch die anderen aus der Ruhe zu bringen. In regelmäßigen Abständen blickte er von seinem Vorlesungsskript auf und stellte eine Frage. Schönlieb fiel auf, dass sich daraufhin immer die gleichen Leute in den ersten Reihen meldeten. Allen voran ein Junge mit einem merkwürdig großen Kopf. Manchmal meldete er sich sogar, wenn gar keine Frage gestellt worden war. Schönlieb betrachtete ihn eine Weile. Alle paar Minuten schob der Junge mit dem großen Kopf seine Brille zurück in die richtige Position. Dabei zog er jedes Mal die Stirn in viele lange Falten. Etwa jedes fünfte Mal nahm er die Brille ganz ab, riss ein kleines Plastiktütchen auf, zog ein Brillenputztuch heraus, putzte seine Brille und schob sie danach wieder auf die Nase.
»Das ist Benjamin«, sagte Johann, der offensichtlich wieder wach war und gesehen hatte, wie Schönlieb diesen eigenartigen Kauz mit dem großen Kopf beobachtet hatte. »Der Streber vom Dienst. Sein Arm geht nur zum Brilleputzen herunter.« Johann lachte.
Kapitel 11
Schönlieb konnte seinen Blick kaum von dem blauen Auge abwenden. Eine Schwellung war nicht mehr zu sehen, und auch die Verfärbung rund um das Auge war deutlich auf dem Rückzug. Aber es war unverkennbar: Alexander Röhnsdorf hatte es ordentlich erwischt. Schönlieb hatte sich den Studenten schon bei Facebook herausgesucht. Alexander war immer wieder mit Huynh und Johann Sattler zusammen auf den Fotos zu erkennen gewesen, es war offensichtlich, dass er zur selben Clique gehörte. Wie lange mochte es her sein, dass Alexander sich das blaue Auge zugezogen hatte? Eineinhalb bis zweieinhalb Wochen? Schönlieb kam sofort der Verdacht, dass es Alexander war, mit dem sich Huynh geprügelt hatte. Dass Alexander
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