Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
als Student Bestand, und das würde er jetzt ein letztes Mal ausnutzen. Den Türsteher, Marie und Alexander würde er dann ganz offiziell befragen. Wallner könnte ihm dabei gut helfen, doch der alte Sack lag wahrscheinlich noch immer gemütlich zu Hause in seinem Bett und tat so, als wäre er krank, nur weil er sich von Holding übergangen fühlte.
Schönlieb hatte sich in der Nacht erneut das Vorlesungsverzeichnis vorgenommen und hoffte, dass er auch dieses Mal auf Johann treffen würde. Er würde versuchen, Ritalin bei ihm zu kaufen, und anschließend seine Tarnung aufgeben und Johann festnehmen. Im Büro würde er Johann dann richtig in die Mangel nehmen können. Schönlieb war zufrieden mit seinem Plan und steckte das iPhone wieder in die Hosentasche.
An der Haltestelle Grindelallee zwängte er sich mit dem Großteil der Insassen aus dem Bus. Er überquerte die Ampel, ging die Straße hinunter, um schließlich rechts am Parkplatz und der Ponybar vorbeizugehen, bis zu dem Platz mit dem Wasserbecken, in dem sie Huynh gefunden hatten. Die Stelle, an der Huynh noch vor fünf Tagen gelegen hatte, war nicht mehr als Tatort erkennbar. Keiner der Studenten, die tief in ihre Jacken verkrochen und quer über den Campus an dem zugefrorenen kleinen Becken vorbeigingen, wirkte so, als wisse er, was geschehen war. Obwohl es mittlerweile auch den Artikel in der Zeitung gegeben hatte. Vielmehr schienen alle darauf bedacht, möglichst schnell von einem Gebäude ins nächste zu kommen.
Während Schönlieb über die Vergänglichkeit von Tatorten nachdachte, summte er leise The Show Must Go On von Queen vor sich hin. Es erschien ihm nicht ganz angemessen, aber hier beobachtete ihn ja niemand. Am Rand des Beckens, genau dort, wo Huynh über die Kante gezogen und ins Wasser geworfen worden war, blieb er kurz stehen. Wir werden schon herausfinden, warum du sterben musstest.
Er ging weiter bis zum Rechtshaus. Gerade als er den Eingangsbereich durchquerte, öffnete sich eine der beiden Fahrstuhltüren in der Mitte des Raumes. Anna trat heraus. Schönlieb blieb stehen und begrüßte sie, doch Anna beachtete ihn gar nicht, mit schnellen Schritten ging sie an ihm vorbei und steuerte auf den Eingang der Toiletten rechts von ihnen zu.
»Hey«, rief Schönlieb, doch Anna verschwand wortlos und ohne sich nach ihm umzudrehen in der Frauentoilette.
Hatte sie geweint? Schönlieb hatte das so schnell nicht sehen können, aber ihm war, als hätte sie rote, aufgequollene Augen gehabt. Kurz überlegte er, was er jetzt tun sollte. Dann entschied er sich, vor der Tür auf Anna zu warten. Nach zehn Minuten schaute er das erste Mal auf die Uhr. Konnte das sein? Was machte sie so lange? Er wartete weitere fünf Minuten, schließlich schaute er sich schnell um. Niemand zu sehen. Schnell öffnete er die Tür und trat ins Frauenklo ein. Es gab drei Toiletten, die Tür zu einer stand einen Spalt auf, die anderen beiden waren zu. Er konnte jedoch noch nicht sehen, ob sie auch abgeschlossen waren.
»Anna?«, fragte er vorsichtig, bekam aber keine Antwort. Er versuchte es noch einmal und ging weiter auf die geschlossenen Türen zu. »Anna? Bist du hier?«
Jetzt konnte er sehen, dass eine der Türen verschlossen war. Er klopfte an die Tür.
»Anna? Alles in Ordnung?« Wieder bekam er keine Antwort, doch er meinte ein leises Schluchzen auf der anderen Seite der Klotür zu hören. Was machte er hier? Dennoch, wenn er jetzt schon hier stand.
»Ich … äh … hatte mir nur Sorgen gemacht, weil du … nicht wieder herausgekommen bist.« Irgendwie war das ganz schön peinlich. Wie musste das auf sie wirken, dass er ihr ins Frauenklo folgte, weil er beobachtet hatte, dass sie eine Viertelstunde auf dem Klo hockte und nicht wieder herauskam.
»Verpiss dich!«, rief sie plötzlich. Sie klang verschnupft.
»Okay, sorry, ich wollte dich nicht … Ich gehe jetzt wieder, okay?« Keine Antwort.
Er verließ die Toilette und lehnte sich an die Wand vor dem Eingang. Er würde einfach warten.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie herauskam. Kurz blickte sie ihn irritiert an.
»Hey, alles in Ordnung bei dir?«, fragte er und versuchte dabei so nett und unaufdringlich wie möglich zu klingen. Sie nickte schnell, doch in ihrem Gesicht konnte er erkennen, dass überhaupt nichts in Ordnung war.
»Was willst du?«, fragte sie ihn mit einer gewissen Schärfe und blickte dabei auf den Boden. Er hatte das Gefühl, er war der Letzte, mit dem sie gerade sprechen
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