Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
wollte. Ja, was wollte er überhaupt von ihr? So richtig wusste er das auch nicht und zuckte nur etwas hilflos mit den Schultern.
»Ich habe mir nur Sorgen gemacht«, sagte er, und seine Stimme wurde dabei kurz wieder so schrecklich hell. Wie er das hasste.
»Aha«, antwortete sie nur kurz und ging an ihm vorbei. Sie verließ das Rechtshaus und verschwand nach links, die Schlüterstraße hinunter.
Schönlieb schaute ihr hinterher, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Jetzt wusste er, was ihn dazu gebracht hatte, Anna bis ins Damenklo zu verfolgen: Sie hatte wie ein komplett anderer Mensch gewirkt. Etwas war geschehen.
Kapitel 17
Die Vorlesung war vorbei. Johann konnte überall sein. Schönlieb hatte zu lange auf Anna gewartet. Jetzt stand er in der großen, offenen Holztür und blickte in einen leeren Vorlesungssaal. So viel zu seinem Plan.
Er zog sein iPhone hervor und schaute nach, ob es im Anschluss eine Vorlesung gab, die ebenfalls für Johann infrage kam. Es gab keine. Etwas ratlos ging Schönlieb um den klobigen Infotresen herum und blickte auf die Bibliothek. Vielleicht hatte er Glück und würde Johann irgendwo im Inneren der Rechtsbibliothek finden. Er konnte es versuchen. Schönlieb schöpfte neuen Mut. Etwas Besseres fiel ihm im Moment eh nicht ein.
Der Eingang zur Bibliothek sah futuristisch aus. Eine niedrige, durchsichtige Tür versperrte den Eingang. Sie ließ sich jedoch problemlos nach hinten drücken, als Schönlieb hindurchging. Er ging eine Treppe hoch und bekam erst jetzt einen Eindruck davon, wie groß die Bibliothek wirklich war. Sie erstreckte sich über fünf Stockwerke und verfügte über einen alten und einen neuen Teil. Über eine große breite Treppe gelangte man sowohl von einem Teil in den anderen als auch in die höheren Stockwerke. Zu beiden Seiten hin erstreckten sich große Räume, die zur Hälfte mit deckenhohen Bücherregalen vollgestellt waren und dessen andere Hälfte Tischreihen mit Arbeitsplätzen einnahmen. Nahezu alle Plätze waren von Studenten besetzt, die in Bücher oder auf die Bildschirme ihrer Notebooks starrten. Die Luft war stickig.
Schönlieb beschloss, sich von oben nach unten durchzuarbeiten und alles systematisch abzugehen, um Johann zu finden. Er stieg die breite Treppe mit den niedrigen Stufen hinauf bis unter das Dach. Hier oben war es etwas ruhiger als in den unteren Etagen. Dennoch saßen auch hier einige Studenten. Manche von ihnen hatten Büchertürme vor sich stehen oder ein ganzes Meer von aufgeschlagenen Büchern vor sich ausgebreitet. Immer wieder blickten sie hektisch in eines der Bücher, tippten wild auf ihren Laptops herum, nahmen das nächste Buch, lehnten sich zurück, dachten augenscheinlich nach, um gleich darauf wieder wie wild auf die Tastatur der Notebooks zu hämmern. Einige hingegen saßen still vor einem Buch und ließen sich, allem Anschein nach, durch nichts ablenken. Nicht die kleinste Regung, fokussierter Blick. Doch leider war keiner von ihnen Johann. Schönlieb ging in das nächste Stockwerk hinunter. An einem weißen Tisch entdeckte er zwei Studenten, die inmitten ihrer Bücher auf verschränkten Armen ein Nickerchen machen. Wahrscheinlich weil die Studentenparty letzte Nacht zu hart gewesen war. Er wechselte auf die andere Seite, den alten Teil der Bibliothek, und stellte mit Erstaunen fest, dass die Bibliothek auf dieser Seite noch weit nach hinten in das Gebäude hineinging. Er lief einmal an allen Tischen vorbei, die quer zu den Fenstern hintereinanderstanden, doch auch hier war von Johann nichts zu sehen.
Plötzlich stockte er kurz. Er hatte ein bekanntes Gesicht entdeckt. Er brauchte kurz, um es zuzuordnen, dann fiel ihm ein, dass es Benjamin war, der Streber mit dem großen Kopf. Er saß ganz am Ende des Raumes am Fenster und starrte konzentriert in ein Buch. Ab und zu blickte er kurz auf und schob seine Brille mit dem Zeigefinger zurecht. Beim dritten Mal nahm er die Brille jedoch ganz ab, zog ein Brillenputztuch hervor und putzte sie ausgiebig, dabei blickte er Schönlieb direkt an. Schönlieb mochte die Art nicht, wie Benjamin ihn ansah, dabei war er sich nicht mal sicher, ob Benjamin ihn wirklich sah, vielleicht konnte er ohne Brille überhaupt nichts erkennen und blickte nur in eine verschwommene Ferne. Dennoch senkte Schönlieb unbewusst seinen Blick und ging aus dem Raum hinaus. Er musste Johann finden. Noch hatte er nicht aufgegeben und glaubte an die Chance, ihn tatsächlich in der Bibliothek zu finden. Er
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