Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
stand Schönlieb in Professor Meiningers Büro, das aus zwei Zimmern bestand. Im ersten Zimmer hatte die Sekretärin von Professor Meininger gesessen und sie beide beim Hereintreten mit kühler Miene begrüßt. Die beiden Räume waren durch eine breite Tür miteinander verbunden, die Meininger, als sie ins zweite Zimmer traten, hinter ihnen schloss.
»Da wären wir. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Oder ein Wasser?« Der Professor nahm hinter seinem großen Schreibtisch Platz und bedeutete Schönlieb, sich auf dem Stuhl gegenüber zu setzen.
»Nein danke«, antwortete Schönlieb und ließ sich in den ihm zugewiesenen Stuhl fallen. Schönlieb sah sofort, dass Meininger Ordnung liebte. Die Kugelschreiber auf dem Schreibtisch lagen sauber aufgereiht nebeneinander, der Kalender parallel dazu und die Tastatur parallel zum Tischende. Alles in feinster Ordnung.
»Sie sind also von der Polizei. Der Dekan hat uns gar nicht über Ihre Ermittlungen informiert. Darf ich fragen, was Sie hier bei uns an der Universität und vor allem in der Bibliothek machen? Geht es um den toten Studenten, den man vor dem Audimax gefunden hat?«
Schönlieb seufzte leicht. Sein Plan war gründlich misslungen. Statt Johann unauffällig Tabletten abzukaufen und den Fall voranzutreiben, war er aufgeflogen und hatte jetzt auch noch diesen neugierigen Professor Meininger am Hals. Als in der Bibliothek das Wort »Polizei« gefallen war, hatte Johann sich aus dem Staub gemacht, und Schönlieb war der Einladung des Professors ohne Widerworte gefolgt, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Marie hatten sie einfach stehen lassen. Das einzig Gute war, dass sie auch den alten Aufpasser in der Bibliothek gelassen hatten und dass er unten am Ausgang sein iPhone wiederbekommen hatte.
»Ja. Wir folgen da einer … Spur«, sagte Schönlieb zögerlich und überlegte, wie er schnellstmöglich aus diesem Büro verschwinden konnte, ohne dass der neugierige Professor weitere Fragen stellen würde.
»Und Sie denken, Herr Bauer könnte etwas damit zu tun haben?«
»Herr Bauer?«, fragte Schönlieb irritiert.
»Der ältere Herr vom Sicherheitsdienst, mit dem Sie eben die handfeste Auseinandersetzung hatten.«
»Nein«, beruhigte Schönlieb, »dem hat nur mein Klingelton nicht gefallen.«
»Ihr Klingelton, ich verstehe«, sagte der Professor etwas irritiert und zog eine Augenbraue in die Höhe.
Schönlieb schüttelte leicht den Kopf. Was war eben gerade nur in ihn gefahren? Er hatte den alten Mann angegriffen, in die Knie gezwungen und ihm den Arm auf den Rücken verdreht. Wahrscheinlich hatte er Glück gehabt, dass sich der Alte dabei nicht den Arm gebrochen hatte. Schönlieb konnte sich selbst nicht verstehen. Es war fast wie damals, als er mit seinem Fahrrad auf dem Bürgersteig gefahren war und ihn bei der Überquerung einer Seitenstraße ein Auto angefahren hatte. Hinter dem Steuer des viel zu großen Geländewagens hatte ein kleiner, weißhaariger, braun gebrannter Mann gesessen. Man konnte es ihm kaum verdenken, dass er Schönlieb nicht gesehen hatte. Er hatte gerade eben über das Steuer seines überdimensionierten Monsters gucken können. Zu Schönliebs Glück hatte er im letzten Moment gebremst und Schönlieb nicht voll erwischt, dennoch hatte es ihn vom Fahrrad geschleudert. Als der Mann dann aber sein elektrisches Fenster herunterfuhr, sich aus dem Fenster lehnte und Schönlieb anmotzte, dass er ja auf der falschen Straßenseite gefahren war und im Prinzip selbst Schuld gehabt hatte, hatte sich Schönlieb wütend aufgerappelt, war wie im Rausch auf das Auto zugegangen und hatte mit voller Wucht gegen den Seitenspiegel getreten. Beim ersten Mal hatte der Spiegel noch tapfer standgehalten, beim zweiten Tritt gab der Spiegel jedoch nach und wurde nur noch von einem dünnen Kabel davon abgehalten, ganz abzufallen. Schönlieb hatte anschließend wild gegen das Fahrerfenster geboxt, das der Weißhaarige schnell wieder hochgefahren hatte. Der Fahrer musste um sein Leben gefürchtet haben. Schließlich hatte Schönlieb durch das Fenster gesehen, wie der Mann auf dem Handy die 110 anrief. Da hatte er sich lieber schnell aus dem Staub gemacht.
»Also?«, fragte Meininger lächelnd, aber fordernd. Seine Zähne waren unnatürlich weiß. »Ich bin immer gerne auf dem Laufenden darüber, was hier in der Fakultät geschieht.«
Schönlieb meinte, das Lächeln schon mal auf einem dieser Verkaufssender gesehen zu haben, und holte ein Foto von
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