Die Psychonauten
plötzlich, daß nur diese Person mit ihr gesprochen haben konnte. Magie hatte es ermöglicht, daß sich zwei Welten — die Vergangenheit und die Gegenwart — begegneten und sich gegenüberstanden. Fatima verspürte keine Feindschaft, die andere auch nicht. Die etwas breiten kippen — vielleicht steckte auch ein Schuß schwarzes Blut in ihr — verzogen sich zu einem Lächeln.
Es war ein Willkommensgruß, und Fatima lächelte zurück. Jetzt existierte nur diese Fremde, die ihr doch so nahe war wie die eigene Schwester.
»Wieso bin ich du?« fragte sie in Gedanken. »Wer bist du?«
»Ich heiße Nechbeth…«
»Sei mir nicht böse, aber diesen Namen kenne ich nicht.«
»Ich bin eine Prinzessin.«
»Ja, etwas Besonderes.«
»Sicher, wie du. Denn ich und du sind eins. Ich bin in dir wiedergeboren, meine Schwester. Ich kann dich sehen, du siehst mich und die Pyramide meines Vaters.«
Es waren sehr viele Neuigkeiten auf einmal, die Fatima verdauen mußte. »Die Pyramide deines Vaters. Dann war Cheops dein Vater?«
»Richtig.«
»Aber unsere Bücher schreiben nichts von einer Tochter, die Nechbeth heißt…«
»Es ist auch vergessen worden, weil ich eigentlich nicht zu ihm gehöre, denn meine Mutter stammt aus Nubien. Sie war eine sehr schöne Sklavin, die sich mein Vater an den Hof geholt hat. Aus ihrer Verbindung bin ich entstanden. Er aber hat mich nie verleugnet. Ich gehörte sogaf zu seinen Lieblingskindern und wurde zu den Weisen auf eine Schule geschickt, wo ich viel lernte.«
»Was denn?«
»Künste, auch die Schriften, aber ich lernte auch etwas über das Pyramidenwesen.«
»Die Cheops…«
»Ja, meine Schwester, auch sie. Denn sie ist sehr wichtig, sie ist die Wichtigste überhaupt. Es gibt nur wenige Menschen, die die einzige Wahrheit erkannt haben.«
»Dann kenne ich sie auch nicht?«
»Du müßtest sie eigentlich kennen, meine Schwester. Gerade du, wo wir doch eins sind.«
»Nein, ich…«
»Dann will ich es dir sagen. Die Pyramide wurde nicht allein durch meinen Vater gebaut. Schon weit vorher hat jemand den Grundstock errichtet. Es war ein fremdes Volk, das vor den Ägyptern lebte und unterging. Sie haben die geheimnisvollen Räume geschaffen, in denen du den Weltenkalender findest und das große Wissen, das dieses Volk damals gekannt hat. Viele Katastrophen sind auf dem Weltenkalender aufgezeichnet worden. Die meisten Voraussagen trafen ein, bis zu dem großen Glühen, das über ein Land in deiner Nähe gekommen ist…«
»Tschernobyl…«
»Ich weiß nicht, wie ihr es genannt habt. Aber auf dem Kalender steht auch, daß eure Wälder und die Flüsse sterben werden. Ist es so eingetroffen?«
»Ja, leider.«
»Du siehst, wie weise die Erbauer waren. Die Voraussagen gehen bis zum Jahr 2001…«
»Weshalb nicht weiter?«
»Weil dann das neue Zeitalter beginnt. Alle 2000 Jahre wandelt sich die Erde. Das neue Zeitalter steht kurz vor dem Ausbruch. Es ist die Periode des Wassermanns, aber das wirst du wissen…«
»Und was ist noch dort zu sehen?«
»Schwester, ich darf es dir nicht sagen, aber du wirst es finden, glaube mir. Du mußt dein altes Wissen nur einsetzen, dann geht alles wie von selbst. Du mußt mich in dir spüren. Andere haben es gewußt, Prinzessin. Das Auge hat die Verbindung zwischen uns geschaffen, aber es ist bedroht. Ich spüre, daß uns etwas dazwischenkommt.« Nechbeth verzog die Lippen zu einem verkrampften Lächeln. »Denk nach, überlege, aber laß dich nicht vor das falsche Fahrzeug spannen. Viele sind in deiner Nähe, die sich Freunde nennen. Genieße sie mit Vorsicht!«
Plötzlich war die Gestalt aus der fernen Vergangenheit verschwunden. So sehr Fatima auch schaute, sie konnte Nechbeth nicht entdecken. Nur in das Licht sah sie hinein, denn der helle Kranz wollte einfach nicht weichen. Dann hörte sie eine dunkle Männerstimme. »Sie hat gesehen, sie muß gesehen haben. Sie wird uns das Geheimnis der Pyramide sagen. Wir werden das Wissen erhalten…«
»Gar nichts werdet ihr«, sagte plötzlich eine harte Stimme aus dem Hintergrund.
Einen Lidschlag später lag die Stille wie Blei in der Pyramide!
***
Ich hatte die Worte gesprochen!
Durch die Magie des Kreuzes war es mir gelungen, in das Innere der Pyramide zu gelangen. Leider hatte ich nicht alles mitbekommen, so wußte ich nicht, ob der Zeitpunkt eines Eingreifens günstig war. Jedenfalls hatte ich den Eindruck bekommen, als wollten die Psychonauten über das Mädchen Fatima zu ihrem Ziel gelangen.
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