Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
gebracht hat, einer Begutachtung, als wäre sie sein Vormund. Entscheidend versagt hätte Melanie, wenn sie irgendwann Feigheit vor dem Essen zeigen würde. Patience will große, gebärfreudige Frauen mit riesigen Brüsten und breiten Hüften für AJ. Der leiseste Hinweis darauf, dass sie es mit einer Kostverächterin zu tun hat, macht sie zu einer bösartigen Bitch aus der Hölle.
»Noch Klößchen? Oder Schellfisch? Ich habe Schellfisch, in Milch pochiert. Ich kann Ihnen einen Teller bringen mit einem Klößchen und etwas Toast zum Aufwischen. Und noch etwas von meinem Liebstöckel-Brandy?«
Das Frühstück, das Patience aufgefahren hat, ist aufwendiger als alles, was diesen Tisch seit Menschengedenken geschmückt hat. Melanie hat sich übertrieben dankbar gezeigt, aber irgendwann muss Schluss sein.
»Ich war eigentlich auf Diät«, erzählt sie Patience. »Aber ich muss wirklich sagen, Ihnen steht Diätsaboteurin auf die Stirn geschrieben.«
Sie möchte Patience bei Laune halten, doch statt eines Lächelns bekommt sie zum Lohn noch eine Kelle Essen auf den Teller. Patience wendet sich unbeeindruckt ab. Die Herausforderung ist noch nicht zu Ende. Melanie isst gehorsam und starrt dabei auf Patiences Rücken. Ab und zu wirft sie AJ einen tapferen Blick zu, und er nickt ermutigend. Er würde es ihr gern im Einzelnen erklären – das ist deine Aufnahmezeremonie, Melanie. Du machst es gut, und es wird nicht immer so sein … Aber das hat sie vielleicht schon selbst herausgefunden, denn sie widmet sich ihrer Aufgabe mit einer wilden Entschlossenheit, die er von ihr sonst nur aus der Klinik kennt.
Sie hat aufgegessen. Betupft sich zierlich den Mund und reicht Patience ihren Teller, und die nimmt ihn ohne Murren entgegen und bietet Melanie nichts mehr an.
Das bedeutet, sie hat die Prüfung bestanden.
Die Liste
Der Einkauf bei Wickes wurde bar bezahlt und von dem Baumarkt artikelweise registriert. Kieran Bolt hat nur zwei Minuten gebraucht, um ihn zu finden. Er und Caffery stehen schweigend da und lesen, was Handel gekauft hat, bevor er eine Viertelstunde später die Dockingstation bezahlt hat. Für jeden anderen würde diese Liste ganz unschuldig aussehen. Aber für Caffery, der über Handel weiß, was er weiß, liest sie sich wie eine Aufzählung von Warnsignalen:
Kupferdraht
Krokodilklemmen (sieben Farben)
Sägeblatt
Teppichmesser
Zange
Als er ins Büro zurückkommt, ist der Superintendent zum Glück schon nach Hause gegangen; also muss er sich nicht groß rechtfertigen. Das Gebäude ist fast leer. Caffery schließt die Jalousien und räumt den Schreibtisch frei. In der Ecke stehen sechs grüne Transportkisten: Isaacs Akten aus dem Archiv. Caffery hebt die erste auf den Schreibtisch, nimmt einen Ordner heraus und fängt an zu lesen.
Handel hat von Geburt an auf der Upton Farm gewohnt. Mit zwölf fiel er in der Schule bereits durch zunehmend verschlossenes Benehmen und bizarre Ausbrüche auf. Er wurde auf eine Schule für Lernschwache verlegt. Alle wussten, dass Isaac gestört war, aber offenbar war weder seinen Lehrern noch dem Jugendamt noch seinen Eltern klar, wie gefährlich er war. Das erkannte man erst, als es zu spät war.
Neben Cafferys Mousepad liegt eine Kopie des Kassenauszugs von Wickes. Die Verbindung zu dem, was damals als Nächstes geschah, ist beinahe surreal. Ein Witz fast. Caffery nimmt einen Stift und unterstreicht ein paar Artikel auf der Liste. Als Erstes:
Teppichmesser.
Am 2. November, als Isaac vierzehn war, ging er seinen Eltern im Schlafzimmer mit einem Teppichmesser an die Kehle. Isaacs Vater wehrte sich, aber er war herzkrank und seinem jugendlichen Sohn nicht gewachsen. Isaac setzte ihn außer Gefecht, indem er mit der Klinge quer unter dem Kinn entlangfuhr, die Luftröhre öffnete und die Speiseröhre verletzte. Das Gleiche tat er bei seiner Mutter. Eine Zeitlang atmeten die beiden Opfer durch die Schnitte an ihren Hälsen. Was sie schließlich tötete, war der Blutverlust.
Zange.
Nachdem er ihnen die Kehle durchgeschnitten hatte, ging der Spaß für Isaac erst wirklich los. Er blieb mehrere Stunden bei ihnen. Während sie starben, zerschnitt er ihnen die Gesichter und trennte ihre Ohren ab. Er schnitt ihnen die Zungen heraus und zog ihnen mehrere Zähne, und zwar mit einer Zange, wie der Rechtsmediziner vermutet. Mit einer Zange wie der, die auf dem Beleg von Wickes steht.
Nichts von dem, was Handel ihnen abschnitt, wurde am Tatort gefunden, und bis heute hat man die
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