Die Puppenkönigin – Das Geheimnis eines Sommers (German Edition)
damit sie keins davon versehentlich beschädigte.
Zach sah zu, wie Eleanor die Böden wischte, das Silber polierte und Sachen unter ihrem Bett versteckte. Wäscheklammern, auf die sie mit Tinte Augen malte. Ein Kissen, das sie mit einer Schnur so zugebunden hatte, dass es wie ein Kopf mit Hals aussah. Nachts, wenn ihr Vater und ihre Tante ins Bett gegangen waren, spielte sie in ihrem dunklen Zimmer damit, flüsterte allein vor sich hin und gab ihnen die Namen ihrer alten Puppen.
***
Als Zach blinzelnd die Augen aufschlug, spannte sich über ihm ein zartblauer, von kleinen Wölkchen gesprenkelter Himmel.
Die Sonne fiel durch das grüne Blätterdach und überzog den Boden mit hellen und schattigen Flecken. Zach hörte etwas, das ihn an das Meer erinnerte. Er hatte einmal einen Sommer bei seinen Großeltern verbracht, nachdem sein Vater die Familie verlassen hatte. Damals hatten sie ein Häuschen am Strand gehabt und jeden Morgen war er vom Rauschen der Wellen erwacht.
Doch er wusste, dass dies nicht das Meer sein konnte und auch nicht der Ohio River. Es war die Straße; das Vorbeirauschen der Autos und Lastwagen hinter den Bäumen klang wie Meeresbrandung.
Zach setzte sich immer noch blinzelnd auf, streckte die steifen Glieder und sah sich um. Alice schlief in ihren Mantel gehüllt neben ihm. Die Zöpfe fielen ihr ins Gesicht und auch einige weiße Flaumfedern oder so etwas lagen auf ihrer Haut. Poppy schlief ebenfalls, den Kopf nach hinten an den Baumstamm gelehnt. Zach dämmerte, dass sie während ihrer Wache eingeschlafen war.
Als er den Kopf wandte, saß dort direkt hinter ihm die Königin und starrte ihn heimtückisch mit ihren weit aufgerissenen pechschwarzen Augen an. Aus der Nähe sah er, dass die Glaskugeln etwas zu klein für ihre Augenhöhlen waren, sodass an den Winkeln Lücken klafften. Eine Ameise kroch aus diesem Spalt, über ihr Auge und weiter die Stirn hinauf in ihr Haar. Zach sprang auf und machte einen Satz rückwärts, sein Herz raste.
Im Gras hing noch mehr von dem weißen Zeug. Es sah aus wie Schnee, doch dann merkte er, was es war. Das Futter seines Schlafsacks.
Jemand hatte ihn aufgerissen, den Stoff zerfetzt, das Futter herausgezerrt und verstreut, genauso wie ihre Lebensmittel.
Die Babymöhren lagen im Dreck, die Rinde eines Baums war mit Erdnussbutter beschmiert und das Glas lag neben einem Stein, als wäre es dorthin gerollt. Die Kräcker waren auf dem Erdboden verkrümelt und der Schokoriegel durchgebrochen. Fetzen der Goldfolie glitzerten wie Konfetti. Wer hatte das getan?, fragte sich Zach und nahm den leeren Blick der Puppe und die Ameise auf ihrer porzellanweißen Wange in Augenschein.
Während er sie anstarrte, flitzte ein Eichhörnchen zu dem offenen Erdnussbutterglas und schlüpfte mit dem pelzigen Kopf hinein.
Als er die Ereignisse der letzten Nacht Revue passieren ließ – wie Poppy und Alice ihn mitten in der Nacht geweckt und ihm die Geschichte von der Königin erzählt hatten, ihren Gang zur Bushaltestelle, das Kampieren im Dunkeln –, fühlte es sich so fern an, als wäre all das einer Figur in einem Buch passiert. Es schien völlig undenkbar, dass sie die Nacht in einem kleinen Park in einer ihm völlig unbekannten Stadt verbracht hatten.
Als er sich wieder der Puppe weit außerhalb von Poppys Reichweite zuwandte, kamen ihm noch andere undenkbare Sachen in den Sinn. Hatte wirklich ein Geist ihren Lagerplatz verwüstet? Beobachtete Eleanor ihn durch die Glasaugen der Königin? Ihm wurde heiß und kalt.
Irgendwo im Nirgendwo mit einem wütenden Geist und keiner Ahnung, wo sein Grab lag.
Verdammt, sie saßen echt in der Tinte.
Neuntes Kapitel
Zach weckte Alice, indem er ihre Schulter rüttelte, bis sie stöhnte und sich auf die andere Seite wälzte. Ihre Zöpfe breiteten sich auf dem zerfetzten Schlafsack aus und noch mehr von dem weißen Zeug verfing sich darin.
»Noch fünf Minuten«, murmelte sie.
»Alice«, sagte er ganz ruhig und piekte sie in den Oberarm. »Es ist etwas passiert. Komm, steh auf. Das musst du sehen.«
Als sie die Augen aufschlug, schien sie überrascht, ihn zu sehen. »Wo … «
»Gestrandet in East Rochester, Pennsylvania«, erklärte Zach achselzuckend und hoffte, ihr so zu verdeutlichen, dass auch er fand, die ganze Sache sei ziemlich schräg gelaufen.
Nachdem Alice den Zustand ihres Lagers bemerkt hatte, war sie noch verwirrter. »Wer … «, fragte sie stirnrunzelnd.
Er deutete mit dem Kopf auf Poppy und die Puppe. »Glaubst du
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