Die Puppenkönigin – Das Geheimnis eines Sommers (German Edition)
des Bootes fuhr man nicht einfach vom Wind weg, sondern meistens geradeaus. Meistens.
So stand es in den Büchern. Aber zwischen Theorie und Praxis klaffte ein himmelweiter Unterschied. Zach wusste theoretisch, wie man mit den Tauen umging, die Windrichtung bestimmte und wo man sein Gewicht im Boot einsetzte. Dennoch gelang es ihm nicht, die Jolle segeln zu lassen. Sie lagen auf dem Wasser, wurden von der Strömung erfasst und kreiselten langsam um sich selbst.
Poppy zog eine der beiden Schwimmwesten an, während Zach sich völlig überfordert abmühte und vorgab, zu wissen, was er tat, indem er an den Tauen zog und Verschiedenes ausprobierte. Als Poppy Alice die zweite Schwimmweste anbot, griff sie widerwillig zu. Obwohl Alice sich anscheinend damit abgefunden hatte, dass sie ihre Mission fortsetzten, war sie offenbar weit davon entfernt, Poppy zu verzeihen. Das Boot war sehr klein, doch Alice suchte die größtmögliche Entfernung zu Poppy.
Zach wollte etwas sagen, damit sie wieder miteinander redeten, doch er war zu sehr mit den verschiedenen Tauen beschäftigt, um das Segel zu hissen. Sie bewegten sich auf die beiden Brücken zu. Die erste war hoch genug und stellte kein Problem dar, aber die zweite hatte viel mehr Stützpfeiler, und Zach wollte sichergehen, dass sie ihnen nicht zu nahe kamen.
Plötzlich fiel ihm ein, dass er das Ruder nicht heruntergelassen hatte. Er kroch zum Heck, drückte es nach unten und packte die Pinne, damit er mit dem Steuern beginnen konnte. Alice hatte das Segel übernommen. Es bauschte sich wild im Wind und schlug knatternd wild hin und her. Gleichzeitig schwang der Baum nach rechts.
Steuerbord , dachte Zach unwillkürlich.
»Mach es fest«, schrie er. Alice zog an dem Tau, bis das Segel keine Falten mehr warf, und dann ging es plötzlich voran. Gischt spritzte aus dem Fluss und netzte ihre Gesichter und ihre Haare mit zarten Tropfen. Der Wind zauste Zachs Haar.
Obwohl er Angst davor hatte, dass Poppy die Sache mit der Befragung herausfinden könnte, und trotz der sonderbaren Tatsache, dass Poppy und Alice ein Geheimnis hatten, von dem Alice nicht wollte, dass er davon erfuhr, war Zach in diesem Moment einfach nur glücklich. Er genoss das Gefühl, auf dem Fluss zu sein, ihn rings um sich fließen zu spüren. Er war der Kapitän eines richtigen Schiffs, eines richtigen Schiffs, das auch noch Perle hieß. Wenn das keine Magie war! Und ausnahmsweise stellte Zach nichts davon infrage. Er warf den Kopf zurück und strahlte mit dem tiefblauen Himmel um die Wette.
Das vorbeifliegende Ufer war grün, hier und da gesäumt von vereinzelten Gebäuden. Als Alice dem Segel noch mehr Raum gab, nahm das Boot weiter Fahrt auf und neigte sich nach Steuerbord, sodass sich die Backbordseite aus dem Wasser hob. Sie mussten sich auf dieser Seite auf die Bootskante setzen, die Füße in die Reling des Cockpits gehakt, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.
»Gleich kentern wir«, brüllte Poppy.
»Halt dich fest«, sagte Alice.
Zach drückte die Pinne nach links, um nach rechts zu steuern, bis sie langsamer wurden und sich der Rumpf wieder aufrichtete. Das Segel luvte und geriet laut knatternd ins Flattern. Alice machte es von Neuem fest, sodass es zu der neuen, langsameren Geschwindigkeit passte. Das Ganze war lustig, aber auch gefährlich gewesen.
Poppy kroch ins Cockpit, holte die Puppenkönigin aus dem Rucksack und steckte sie unter den Reißverschluss ihrer Kapuzenjacke. »Für alle Fälle, wenn wir kentern«, sagte sie. »Ich habe Angst, dass sie über Bord geht.«
»Meinst du nicht, dass sie dort, wo sie war, sicherer ist?«, fragte Zach.
»Offenbar nicht«, erwiderte sie.
Alice zog beide Augenbrauen hoch, als wollte sie ihn daran erinnern, wie verrückt Poppy war.
Sie brauchten eine Weile, bis sie es heraushatten, wie man das Boot beschleunigte, wann man das Segel straffen oder locker lassen musste, was zu tun war, wenn der Wind sich drehte (was er anscheinend alle zehn Minuten tat), und wie sie den Abstand zu größeren Schiffen wahrten.
Es kam ihnen vor, als wären sie stundenlang gesegelt, doch in Wirklichkeit war es nur eine Stunde. Wenn Zach irgendetwas tat, konnte er es – selbst das Laufen – meistens ausblenden und über andere Dinge nachdenken. Doch Segeln war wie Basketballspielen – er musste sich voll konzentrieren. Mit mehr Erfahrung wäre das vielleicht anders gewesen, aber so hatte er ständig Angst, das Boot würde umschlagen, weil es so schräg im Wasser
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