Die Puppenspieler
die Kapuze über seinen Kopf. »Ach, das ist ein ständiger Streitpunkt zwischen ihm und Landino. Landino würde am liebsten die Volgare zur Weltsprache erheben, und Pico kennt zu viele Weltsprachen, um sich dieser Meinung anzuschließen.«
Die rote toskanische Erde wirbelte auf, als sie sich auf den Weg machten, und Richard kam in den Sinn, daß die Wäschereien hier gewiß sehr gewinnbringend waren. Über das Zirpen der Grillen hinweg begann er, sich an sein Thema heranzutasten. »Glaubt Ihr eigentlich, daß Pico und Ficino und die anderen Platoniker im Recht sind, wenn sie den Menschen auf eine so hohe Stufe stellen?«
Mario schien die Frage zu überraschen. »Der Mensch ist das edelste unter den Geschöpfen Gottes«, entgegnete er nur.
Die Bitterkeit stieg in Richard auf. »Wenn ich mir ansehe, was die Dummheit, Eitelkeit und Gier der Menschen alles fertigbringen, habe ich meine Zweifel. Ich kenne kein Tier, das absichtlich grausam ist. Das bleibt ein menschliches Privileg.«
»Hm. Ihr befindet Euch da ganz im Einklang mit den Lehren der Kirche, Riccardo. Wie sagt der Prediger? Alles ist eitel.«
»Ich befinde mich nicht im Einklang mit den Lehren der Kirche, ich bin ganz anderer Meinung …«
»Ich dachte, Ihr bringt der Kirche die größte Bewunderung entgegen?«
Marios Mundwinkel zuckten, und Richard erkannte, daß er mit einem der ältesten rhetorischen Mittel hereingelegt worden war. Seine düstere Stimmung verflog, und er lachte. Der Florentiner kommentierte: »Ausgezeichnet. Ich dachte schon, Eure Leichenbittermiene sei Euch angewachsen.« Dann stimmte auch er in das Gelächter ein.
Während sie den Ponte Vecchio überquerten, sagte Mario: »Wenn unser Prior die Fastenzeit für einen von uns etwas leichter machen will, läßt er uns dreimal am Tag hier beobachten, wie ein Schwein geschlachtet wird.«
»Fra Mario«, fragte Richard plötzlich, »seid Ihr eigentlich freiwillig Mönch geworden, oder hat Euch Eure Familie …« Er geriet ins Stocken.
»Loswerden wollen?« vollendete Mario und zog das Gesicht in tiefe Falten. »Ich muß wohl sehr unpriesterlich wirken, wenn Euch kein anderer Grund einfällt, als die Familie.« In den blauen Augen blitzte Heiterkeit auf. »Es soll auch Priester geben, die einer inneren Berufung gefolgt sind, Riccardo.«
Richards Schritte beschleunigten sich. Er hatte noch eine weitere Frage, doch er unterdrückte sie – vorerst. Schließlich ragte vor ihnen Santa Maria del Fiore auf – Il Duomo. Er war, wie der Campanile und das nahe gelegene Baptisterium, ein Wunderwerk aus weißem und grünem Marmor. Eine wundervolle Symmetrie beherrschte den Bau, und die riesige Kuppel hatte in der ganzen Christenheit nicht ihresgleichen.
»Als Filippo Brunelleschi«, sagte Fra Mario, der Richards Blick gefolgt war, unvermittelt, »der Auftrag für die Vollendung des Duomo erteilt wurde, erfuhr er, daß er für die Kuppel mit Lorenzo Ghiberti in Wettbewerb treten sollte. Nun war Brunelleschi zwar ein Genie, aber auch äußerst eitel. Er stellte sich krank. Als man ihn zurückholen wollte, riet er, sich an Ghiberti zu wenden. ›Aber Ghiberti will nicht ohne dich arbeiten‹, sagte der Unglückliche, der die Aufgabe hatte, das beleidigte Genie zurückzuholen. Darauf sagte Brunelleschi: ›Gut, ich aber arbeite ohne ihn‹. Da habt Ihr die Toskaner, Riccardo!«
Richard entgegnete erheitert: »Immerhin, ohne ihn hättet Ihr jetzt nicht ein so herrliches Bauwerk.«
»Ja, herrlich«, sagte Mario und wurde mit einem Mal völlig ernst, »und blutbefleckt. Wißt Ihr, was hier geschehen ist?« Richard schüttelte den Kopf. Fra Mario bekreuzigte sich.
»Von hier ging das letzte große Blutvergießen aus, das wir in Florenz hatten – damals, als die Pazzi Giuliano ermordeten. Hat man Euch schon von Giuliano erzählt und von der Verschwörung der Pazzi?«
»Nicht wirklich. Ich meine, nicht genügend. Ich weiß nur, daß er ziemlich beliebt war und daß er ermordet wurde.«
Der Mönch verschränkte seine Arme in seinen langen, weiten Ärmeln. »Giuliano de'Medici war Lorenzos jüngerer Bruder. Als Lorenzo fünfundzwanzig Jahre alt war, entzweite er sich mit dem damaligen Papst, seiner Heiligkeit Sixtus IV.«
Mario stockte. »Gott weiß es, wir sind zu Gehorsam verpflichtet, doch zweifellos war es sehr weise von unserem Herrn, Sixtus vor fünf Jahren zu sich zu rufen. Doch damals, nach seiner Wahl, verschaffte der Papst seinen Verwandten alles, was die Kirche zu geben hatte – Städte,
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