Die Puppenspieler
etwas zu suchen und murmelte beiläufig: »Aber Ihr seid nicht gerne Kaufmann? Ihr wärt lieber als Student hier?«
Richard lag ein ›Nein‹ auf der Zunge, nur um des Widerspruchs willen, doch er besann sich eines Besseren. Er überlegte und erwiderte: »Ja und nein. Es war einmal mein Traum, in diesem Land zu studieren, und das ist nicht mehr möglich. Andererseits hätte ich als Student vielleicht gar nicht die Mittel gehabt, hierherzukommen, und dann habe ich in den Kontoren und Geschäften mehr Geheimnisse und Aufregungen gefunden, als ich je …« Er hielt inne. »Ich bin zufrieden«, schloß er brüsk und fragte sich, warum um alles in der Welt er dem unangenehm hellsichtigen Mario soviel erzählt hatte.
Dieser war inzwischen fündig geworden. »Ah, hier ist es. Nun, Riccardo, ich denke, dies hier wird Euch entschädigen, während ich den Landino beende.«
Richard öffnete den umfangreichen Band. Er war, wie er mit Kenneraugen feststellte, in Kalbsleder gebunden, gewiß ein sehr wertvolles Buch. Doch als sein Blick auf das Titelblatt fiel, spürte er, wie Erregung in seinem Blut pulsierte. Es handelte sich um Pico della Mirandolas ›De concordia‹. Er sah auf.
»Danke«, sagte er aufrichtig zu Mario. Er wußte, was für ein Risiko es war, das Werk eines Exkommunizierten zu besitzen, aber es nun gar in einem Kloster weiterzugeben …
Mario lächelte. »Ich sehe Euch dann … mein Sohn.« Er vertiefte sich wieder in seinen Dante-Kommentar, während Richard sich ein eigenes Pult suchte. Es war Richard lästig, jemandem verpflichtet zu sein, doch die Aussicht darauf, ›De concordia‹ lesen zu können, verdrängte sogar den Gedanken an die Calimala und die Möglichkeit, hier schon wieder Menschen gefunden zu haben, die zu ihrem eigenen Schaden und dem vieler anderer einen Aberglauben praktizierten. Er merkte kaum, wie die Zeit verflog. Nur einmal unterbrach er seine Lektüre, um sich von dem Bruder Bibliothekar ebenfalls Schreibwerkzeug zu holen. Er hätte am liebsten das ganze Buch kopiert, doch da dies unmöglich war, konnte er nur Ausschnitte aus Picos Gedankenwelt dem Papier anvertrauen.
»Körper und Geist stehen in vollkommenem Einklang miteinander, beide sind gut, beide sind schön«, notierte Richard. »Die Seele ist der Wendepunkt des Alls, das Tor, durch das von oben das Licht, die Schönheit und die Liebe in die Materie einfließen können. Freiheit des Menschen heißt, sich für die Öffnung nach oben zu entscheiden. Der aufs Irdische gerichtete Mensch liebt Gott in den Dingen. Der ungewandte Mensch liebt die Dinge, wie sie in Gott sind. Schönheit ist gut, denn sie ist Gottes Schöpfung, und Gott ist gut, denn er hat die Schönheit erschaffen.«
Schließlich räusperte sich leise jemand neben ihm. Fra Mario beobachtete ihn mit einem leicht belustigten Zug um die Lippen.
»Pico würde sich geehrt fühlen«, sagte er. »Aber unser guter Bibliothekar hier hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß wir die letzten beiden sind, die seinen Frieden noch stören. Riccardo, ich würde mich freuen, wenn Ihr mich in die Stadt begleiten würdet. Ich muß im Duomo etwas erledigen.«
Richard hatte das Bedürfnis, mit jemandem über diese erstaunliche Mischung aus Theologie und Philosophie, die er eben in sich aufgenommen hatte, zu diskutieren. Picos Art, die Welt zu sehen, war wundervoll, solange man sie las. Doch nun drängte sich Heinrich Institoris und eine Reihe anderer Prediger, die er in seiner Kindheit gehört hatte, in sein Gedächtnis zurück.
Auf den ersten Blick war die Entscheidung zwischen einem Pico della Mirandola und einem fanatischen Inquisitor einfach. Doch war dieser Inquisitor nicht selbst das beste Beispiel dafür, daß durch die menschliche Seele statt Licht Haß und Heimtücke in die Materie flossen? Und wie sah es mit der Harmonie zwischen Körper und Geist bei einem Bruder Ludwig aus?
Er entschloß sich also, dem jungen Augustiner zu folgen. Als sie das Klostergebäude verließen, sahen sie die abendliche Stadt zu ihren Füßen liegen, und Richard hielt unwillkürlich den Atem an. Er sagte nichts, doch Mario nickte. »Die von allen gekrönte Stadt«, zitierte er aus einem lateinischen Gedicht. »Sie ist wie ein makelloses Kunstwerk.«
Um den Moment der Verbundenheit abzustreifen, sagte Richard beiläufig: »Ihr scheint ja allwissend zu sein … Wieso schreibt Pico della Mirandola noch auf Lateinisch, wenn die Platoniker die toskanische Mundart so schätzen?«
Fra Mario schlug
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