Die Puppenspieler
Richard den Priester daher zu einem Spaziergang auf. Mit einem Aufflackern seines alten Humors fragte Mario: »Du hast doch nicht etwa vor, dich zu erkundigen, wann ich zum letzten Mal zur Beichte gegangen bin, Riccardo?«
Richard schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte mich nach Savonarolas Prophezeiung erkundigen.«
Ergeben ließ Mario die Schultern sinken. »Also gut. Gehen wir.«
Es war Neumond, und die Umrisse der kleinen Häuser, die ihre Herberge umgaben, ließen sich kaum erkennen. Marios schwarzes Haar, das sich so widerspenstig der Tonsur widersetzte, verschwamm mit der Nacht, und Richard konnte in der Dunkelheit nur das weiße Oval seines Gesichtes ausmachen.
Im Gegensatz zu der Unruhe, die er vorher gezeigt hatte, klang Marios Stimme jedoch völlig ebenmäßig, während er erzählte.
»Es war in seiner letzten Sonntagspredigt. Er prophezeite den Tod dreier Tyrannen, nämlich Lorenzos, des Papstes und Ferrantes von Neapel, und eine ausländische Invasion, die Italien mit Feuer und Schwert von seinen Sünden reinigen würde.«
»Das ist billig«, sagte Richard. »Der Papst und Ferrante sind alte Männer, und jeder weiß, wie krank Lorenzo ist. Und wenn Ferrante stirbt, dann wird Charles von Frankreich Anspruch auf den Thron von Neapel erheben, das kann sich ein Kind ausrechnen. Savonarola geht wahrhaftig kein großes Risiko bei seinen Voraussagen ein! Das ist das erste Mal, daß ich höre, wie er zu Jahrmarkttricks greift.«
»Lorenzo ist nicht so krank«, sagte Mario überraschenderweise. »Sicher, die Gicht setzt ihm zu, aber wenn es so schlimm wäre wie bei seinem Vater, dann würde er im Bett liegen und nicht imstande sein, die Geschicke der Stadt weiter zu lenken und nebenbei auch noch Verhandlungen mit Neapel, Mailand, Caterina Sforza und Gott weiß wem noch alles zu führen.«
In seiner Stimme schwang eine verzweifelte Hoffnung mit, die Richard tief berührte. Er hielt Lorenzo für einen großen Mann, doch er hatte nie die absolute Anhänglichkeit für ihn empfunden, die Leute wie Mario aufbrachten und die fast an Liebe grenzte.
»Nun, er wird ganz bestimmt nicht sterben, nur weil Fra Savonarola es prophezeit«, meinte er tröstend. Mario zog seine Kapuze über den Kopf. Seine Worte schienen aus dem Nichts zu kommen.
»Du glaubst nicht an Prophezeiungen?«
Von seiner Antwort schien viel abzuhängen, also unterdrückte Richard die instinktive Verneinung, die ihm auf der Zunge lag, und überlegte lange. Endlich sagte er: »Nein. Wenn es Prophezeiungen gibt, dann heißt das, die Zukunft ist vorbestimmt, und nichts kann sie ändern, was immer man auch tut. Und das kann ich nicht hinnehmen.«
»Gott hat uns den freien Willen gegeben«, sagte Mario, doch ob das zustimmend oder ablehnend gemeint war, wußte Richard nicht; nichts schien sicher zu sein in dieser Nacht. Sie schwiegen beide, bis Mario plötzlich lachte.
»Der freie Wille! So sei es. Gehen wir hinein, Riccardo. Weißt du, es ist geradezu unflorentinisch, soviel zu grübeln. Wen kümmert schon das Morgen?«
Die Straße nach Ferrara, ihr erstes Ziel, war gleichzeitig auch der Weg, den die Handelszüge aus und von Venedig gewöhnlich nahmen und die Richard mittlerweile sehr vertraut war. Dennoch bot das von Olivenbäumen, Kornfeldern und Weinstöcken überzogene Land jedesmal einen leicht veränderten Anblick, und er fand schnell zu der beschwingten Unbekümmertheit zurück. Wolfgang Schmitz erklärte freimütig, er sähe diese Reise als ein Geschenk des Unternehmens an, ›selbst wenn niemand den Trödel kauft‹, und Mario überraschte sie beide, als er eines von Lorenzos Karnevalsliedern anstimmte:
Quant è bella giovinezza , Che si fugge tuttavia ;
Chi vuol' esser lieto sia ,
Di doman non c'è certezza !
Er hatte eine reine, schöne Stimme, und der Klang der Melodie, vermischt mit der grünen, flirrenden Sommerhitze, sollte Richard noch jahrelang im Gedächtnis bleiben. Auf dem Weg nach Ferrara allerdings dachte er nichts weiter, als daß es richtig gewesen war, Mario mitzunehmen, und spürte höchstens einen Anflug von schlechtem Gewissen, wenn er an Saviya dachte.
Allerdings war auch die Landstraße nicht frei von düsteren Seiten. Kurz vor Ferrara ritt ein Trupp Soldaten in scharfem Galopp an ihnen vorbei. Mario hob die Hand über die Augen, um sich vor der Sonne zu schützen, schaute ihnen nach und seufzte. »Das dachte ich mir. Die Este sind durch Heirat mit Guidobaldo da Montefeltro verbunden, und der bekriegt sich zur
Weitere Kostenlose Bücher