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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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normaler Hunger war ihm in seinem bisherigen Dasein unbekannt geblieben.
    Hinzu kam, daß man von ihm nicht etwa Geheimnisse oder dergleichen verlangte, sondern Geld. Vittorio de'Pazzi hing an seinem Geld. Doch man verlangte ja nicht alles von ihm. Nur eine kleine Summe, um etwas im Magen zu haben, dann würde er weitersehen. Mit gefülltem Bauch würde er einen Ausweg aus dieser Falle finden und sich mit neuen Kräften der Ratten erwehren können, die immer kecker wurden und bereits nach ihm schnappten.
    Beim Anblick des Kapauns, den man ihm brachte, hätte er in die Knie gehen können, wenn er nicht schon gesessen wäre. Doch der geforderte Preis ließ ihn schlagartig alle Schwäche vergessen.
    »Zehntausend Dukaten? Seid ihr wahnsinnig, ihr Räubergesindel?«
    »Der Wein dazu, das macht noch hunderttausend drauf«, endete der Mann, der ihn bediente, geschäftsmäßig und zog sich unter Pazzis Flüchen wieder zurück.
    Keine Frage, daß Fabio dies für einen guten Witz hielt. Also unterschrieb Vittorio zähneknirschend den Schuldschein und stellte fest, daß der Kapaun, aus der Nähe betrachtet, längst nicht mehr so groß erschien und nur notdürftig seinen Hunger stillte. Dennoch, als sich die Tür das nächste Mal öffnete, hatte er mehrere Rattenbisse an Armen und Händen – die Narben seines Kampfes um Selbstachtung –, und es fiel ihm bereits etwas leichter, weitere hunderttausend Dukaten für eine Stange Brot auszugeben. Sein Protest klang eher schwach.
    »Aber das Huhn allein hat doch viel weniger gekostet!«
    »Die Preise steigen, Exzellenz.«
    Als sich Vittorio de'Pazzi eine Woche später vor einem Armenhospital ausgesetzt wiederfand, war er ein ruinierter Mann, dreckig, flohverseucht, mit entzündeten Wunden am ganzen Körper und nur von dem glühenden Wunsch getrieben, Rache an Fabio Orsini zu nehmen, der, wie Vittorio nach Rückfragen bei seinen entsetzten und ungläubigen Bankangestellten schnell in Erfahrung bringen konnte, seine Schuldscheine sofort eingelöst hatte.
    Mit Grazie strich die Königin ihre Seidenröcke glatt. »Ich hoffe, Ihr seid Euch Eurer Vergünstigungen bewußt, Riccardo. Es gibt wenige Außenseiter, die ich zweimal empfange. Aber nun seid Ihr ja einer von uns, nicht wahr?«
    Richard erkannte eine Drohung. Doch nichts wäre falscher gewesen, als sich jetzt eingeschüchtert zu zeigen.
    »Das Volk meiner Mutter«, antwortete er, »hat ein Sprichwort. Nichts verbindet so sehr wie ein geteiltes Geheimnis, aber nur ein Mann, der ganz sich selbst gehört, kann es bewahren.«
    Die Königin lachte leise. Richard schaute auf die verschleierte Gestalt im Halbdunkel und erinnerte sich plötzlich an einen anderen Menschen, der ebenfalls eine Vorliebe für das Halbdunkel hatte und sich gerne durch die Schatten schützte. Er fragte sich, ob die Königin auch Jakobs Passion für das Schachspiel teilte.
    »Gewiß«, sagte die Königin spöttisch. »Abgesehen von meiner Überzeugung, daß es Männern äußerst selten gelingt, ein Geheimnis zu bewahren, ganz gleich, wem ihre Loyalität gilt. Aber wir haben uns wahrhaftig gegenseitig einen Gefallen er wiesen. Ich habe Neuigkeiten für Euch, Tedesco. Vittorio de'Pazzi ist tot, niedergeschlagen von den Leibwächtern Fabio Orsinis, als er ihn ermorden wollte. Unser Heiliger Vater hatte sich vorher mit den Orsini darauf geeinigt, daß sie ihm statt Franceschetto Cibo den Kaufpreis für die Lehen zahlen. Aber nach diesem Skandal stellte er fest, wie wenig ein Orsini für das Amt des Gonfaloniere der Kirche geeignet ist, und übertrug es Fabrizio Colonna. Das bedeutet Krieg, Riccardo, und Ihr solltet daran denken, wenn Ihr wieder in die Welt dort draußen zurückkehrt. Aber vielleicht wollt Ihr gar nicht zurückkehren? Ihr habt Eure Nützlichkeit bewiesen, Ihr könnt bleiben, solange Ihr wollt.«
    Richard schwieg. Ein Hauch von Parfüm zog an ihm vorbei, als die Königin die Hand hob. »Oh, ich weiß, die Katakomben sind nicht sehr reizvoll für einen jungen Mann. Es bleibt Eure Entscheidung. Ich würde Euch auch helfen, Rom zu verlassen und zu gehen, wohin Ihr wünscht.«
    Freiheit. Ein neues Leben, dachte Richard, entwickelte sich immer so, wie man es zu nutzen wußte, gut oder schlecht. Bisher hatte er nichts anderes getan, als sich zu rächen. Das war befriedigend gewesen, gewiß, aber auch anekelnd. Er dachte an Vittorio de'Pazzi, an Fabio Orsini, und hörte Mario noch einmal von den vielen Toten erzählen, welche die Fehde der Medici und der Pazzi

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