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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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geschieht mit meiner Mutter, während ich in meiner Zelle sitze?«
    Bruder Albert antwortete nicht, und obwohl seine Frage eher rhetorischer Natur gewesen war, beunruhigte Richard dieses Schweigen. Es lag etwas … nun, etwas Endgültiges darin.
    »Wie geht es ihr?« fragte er hastig. Alberts Hand fiel von seiner Schulter.
    »Ich weiß es nicht«, sagte der Mönch tonlos. »Ich habe die Verteidigung niedergelegt, und ich glaube kaum, daß Bruder Heinrich einen Nachfolger benennen wird.«
    Richard starrte ihn ungläubig an. »Ihr habt – Ihr habt die Verteidigung niedergelegt?«
    Vielleicht waren es die schwarzen Augen, dieser fassungslose Blick, den er an diesem Tag schon einmal gesehen hatte – Bruder Albert verlor zum ersten Mal seit langer Zeit vor einem Schüler die Beherrschung.
    »Ja, das habe ich! Weil der ganze Prozeß keiner ist, verstehst du? Ich kann nicht mit Vernunftgründen argumentieren, weil mir das die Exkommunikation einbringt. Ich kann keine Gegenbeweise vorbringen, weil mir noch nicht einmal erlaubt ist, die Zeugen zu befragen oder ihre Namen zu kennen. Und jetzt auch noch diese Rechtsverdrehung mit der Folter! Ich will nicht mehr, ich will einfach nicht mehr.«
    »Was ist mit der Folter?«
    Albert war erschöpft, und er hatte die schlimmsten Stunden seines Lebens hinter sich. Er hatte nie geglaubt, daß er angesichts eines Gefolterten etwas anderes als Mitleid empfinden könnte. O ja, Mitleid hatte er gehabt, und Grauen hatte ihn gepackt, während er der Tortur zusah. Doch gleichzeitig war noch etwas anderes in ihm aufgestiegen, und nun wollte er nichts mehr als die Erinnerung daran loswerden, die sein Bild vom abgeklärten, gelehrten und friedlichen Bruder Albert für immer zerstörte. Und ehe er sich's versah, antwortete er auf die Frage des Jungen mit der Wahrheit.
    »Heute hat der Richter die peinliche Befragung angeordnet. Deine Mutter gestand schließlich, widerrief jedoch sofort, und damit ist ein Geständnis unter der Folter wertlos. Dem Gesetz nach darf man die Folter nicht wiederholen, aber als der Inquisitor von ihrem Widerruf hörte, befand er, daß die Folter nicht beendet, sondern lediglich abgebrochen sei, und nirgendwo stünde etwas gegen eine Fortsetzung der Folter.«
    Der Junge vor ihm hätte ebensogut ein Fremder sein können oder eine Statue. Nur der Blick blieb der gleiche. Zu einer anderen Zeit hätte Bruder Albert es ihm nie auf diese Weise beigebracht, und er hätte versucht, ihn zu trösten, doch jetzt bemerkte er nur, daß er vor Zorn brannte. Was erwartete dieses Kind von ihm? Was hatte die Frau erwartet? Daß er Wunder vollbringen würde?
    Er hatte es satt, er wollte nie wieder diese Mischung aus Grauen und abnormer Befriedigung spüren, er wollte zurück in seine sichere Welt der Wissenschaft, wo es keinen Inquisitor gab, der mit Exkommunikation oder gar noch Schlimmerem drohte und einen zum Zeugen seiner Befragung machte. Und wofür sollte er das alles aushalten, sich dieser Gefahr aussetzen, wofür? Die Frau war nur noch verbranntes Fleisch, mehr nicht.
    »Geh in deine Zelle«, sagte er abrupt, »oder besser, ich werde dich begleiten. Von nun an bleibst du natürlich dort.«
    Der Junge wehrte sich nicht, doch als er sprach, lag etwas in seiner Stimme, das ihn um Jahre älter wirken ließ: reiner, unverfälschter Haß. »Feiglinge«, sagte er. »Ihr seid alle Lügner und Feiglinge. Ihr habt versprochen, ihr zu helfen, doch es ist Euch ganz gleich, ob sie stirbt, Euch und dem Abt und jedem hier. Hauptsache, Euer geheiligtes Kloster gerät nicht in Gefahr, seinen guten Ruf zu verlieren – das ist es doch, oder? Deswegen wollt Ihr auch nicht, daß ich mit dem Inquisitor spreche, nicht wahr? Es hat überhaupt nichts damit zu tun, mich zu beschützen – er kann mich nicht verbrennen, und als Zeugen gebrauchen kann er mich auch nicht. Aber er könnte doch vielleicht auf die Idee kommen, an Eurem Unterricht sei etwas nicht in Ordnung …«
    Blitzschnell duckte sich der Junge und rannte los.
    Albert hatte gedacht, Richard hätte resigniert. Darauf, daß sein Schüler sich losriß, war er nicht gefaßt. Doch er holte Richard ein, ehe dieser mehr als zwei Äste erklimmen konnte. Es endete in einem ziemlich würdelosen Gerangel, über das der Abt entsetzt gewesen wäre, bis Albert Richard in einem eisernen Griff um den Hals festhielt.
    »Wenn du«, sagte Albert keuchend und grenzenlos aufgebracht, »jetzt nicht sofort mitkommst und dich wie ein vernünftiger Mensch

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