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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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benimmst, sorge ich dafür, daß du kein einziges Wort mehr über deine Mutter hörst!«
    Richard fügte sich. Während ihre Schritte bald auf dem steinernen Kreuzgang widerhallten, hörte er aus ihrem Echo einen Rhythmus heraus. Ich hasse das Kloster. Ich hasse das Kloster, ich hasse den Abt, ich hasse jeden einzelnen Mönch hier, Bruder Ludwig und Bruder Albert ganz besonders. Ich hasse ganz Wandlingen.
    Eine schwarze Welle des Hasses schlug über ihm zusammen, und er überließ sich ihr willig, denn wenn er sich in seinem Haß vergrub, hörte er nicht das andere Echo, das ebenfalls von den Wänden widerhallte. Fortsetzung der Folter. Folter, Folter. Oder auch: Deine Mutter wird sterben. Fügte sich das nicht wunderbar in den Rhythmus ihrer Schritte? Deine Mutter wird sterben.
    Bruder Ludwig hatte sich inzwischen überzeugt, aus keinem anderen Grund als lauterer Gottesfurcht gehandelt zu haben. Eine Hexe verdiente es, bestraft zu werden, und er hatte nichts weiter getan als seine Pflicht. Eigentlich hätte der Gedanke ihm Frieden bringen sollen und seinem Schlaf die nötige Ruhe, doch dem war nicht so. Im Kloster wich man ihm aus, bis er sich wie ein Aussätziger vorkam.
    Er entschloß sich, zum Inquisitor zu gehen. Dieser hörte ihm nachdenklich zu und meinte schließlich: »Es scheint, daß die Hexe noch immer zu Zaubereien imstande ist. Vielleicht solltet Ihr sie bei der nächsten Befragung erleben, damit Ihr geheilt werdet – dem Dämon in sein wahres Antlitz zu blicken, hat schon manchem in Eurer Lage geholfen.«
    Ludwig wollte protestieren, doch noch ehe ihm die Worte über die Zunge kamen, schien es ihm schon zwecklos zu sein. War dies nicht der vom Papst bestallte Inquisitor?
    Also begleitete er Bruder Heinrich zu seiner nächsten Anhörung. Der Geruch der Folterkammer schlug ihm wie längst verdautes Essen entgegen, und er mußte sich zusammennehmen, um nicht zurückzuweichen. Doch als die Gefangene hereingebracht wurde, knickten seine Knie ein, und er setzte sich vorsichtig auf den Rand des Streckbettes.
    Hastig schlug er ein Kreuz. Das konnte doch nicht Zobeida Artzt sein, dieses nackte, dreckige Wesen, dessen Knie nur noch eine blutige, breiige Masse zu sein schienen, und das kaum gehen konnte? Sie wurde von den Bütteln eher hereingeschleift als gestützt. Auf dem Kopf schimmerte an manchen Stellen die kahle Haut, der Körper war gezeichnet von tiefen Einstichen oder Rissen, und an den Armen schaute überall das rohe Fleisch hervor. Das Gesicht konnte er nicht sehen, denn als man sie losließ, brach sie auf der Stelle zusammen und fiel vor die Füße des Inquisitors.
    Heinrich Institoris kniete nieder und hob sie mühelos auf. Trotz seiner weißen Haare war er ein kräftiger Mann. »Ach, meine Tochter«, sagte er, »warum?«
    Sie flüsterte etwas, doch Bruder Ludwig konnte kein Wort verstehen – wenn diese rauhen Laute denn überhaupt Worte waren. Der Inquisitor übergab sie an die Knechte, die er anwies, sie zu stützen.
    »Warum machst du es dir nur so schwer, mein Kind?« sagte er bekümmert, und hob ihr Kinn. »Warum kehrst du nicht endgültig zum Herrgott zurück und ersparst dir all diese Qualen? Du wirst heute wieder gestehen, und du weißt es. Warum hörst du nicht auf, zu widerrufen?«
    Die Gesichter von Ankläger und Angeklagter waren sich so nahe wie die von Liebenden, die auf einen Kuß warten. Sie schienen nur füreinander Augen zu haben, und Bruder Ludwig erfaßte der gleiche Schauder wie Bruder Albert vor ihm, denn er sah eines der Geheimnisse der Inquisition.
    Ludwig hatte Zobeida begehrt, weil sie eine schöne Frau war, vielleicht auch die erste schöne Frau, die ihm seit seinem Noviziat nicht unnahbar gewesen zu sein schien. Der Inquisitor dagegen hatte Zobeida in ihrem gesunden, natürlichen Zustand verabscheut. Dieser zerschundene, gequälte Leib dagegen … Es war nicht die Begierde nach körperlicher Vereinigung, es war etwas viel Schlimmeres. Es war das unnatürliche Band zwischen jedem Inquisitor und seinem Opfer. Ein gefolterter Mensch haßte die Folterknechte, die ihm diese Schmerzen zufügten, aber niemals den Inquisitor, den Inquisitor, dessen Stimme den Schmerz beendete.
    Bruder Ludwig erinnerte sich an den Ausspruch eines Confratres in seinem heimatlichen Kloster in Speyer, den er damals nicht verstanden hatte: »Die Inquisition spielt mit dem Feuer, wenn sie foltern läßt, denn dabei geraten beide Teile in eine Ekstase des Leidens, und ich bin mir nicht sicher, ob

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