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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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getötet, und alle heuchelten Entsetzen, wenn die Sichelwagen der Hethiter gegen sie anfuhren. An einer verborgenen Stelle des Olivenhains aber übten die drei anderen Gruppen ihren Schlachtplan und warteten auf den Wind.
    Gegen Ende des Weinlesemonats begannen die Tage der Wüstenhitze - sengend heiße Tage, an denen kein Windzug wehte, nur die überhitzte Luft aus der südlichen Wüste über dem Land hing und selbst die Tiere zu ersticken drohten. Diese Tage wurden »Die Fünfzig« genannt, denn mit fünfzig rechnete man in jedem Jahr. In späteren Jahrhunderten gab es sogar ein Gesetz, nach dem jeder Mann, der vom vierten der »Fünfzig« an sein Weib ermordete, straffrei ausging, da unter solchen Bedingungen kein Mann angesichts eines quengelnden Weibes für zurechnungsfähig gehalten werden dürfe. In der erstickenden Hitze schickte Epher seine Masse zwar ein- oder zweimal vor die Stadtmauer, aber der Statthalter war klug genug, seine Streitwagen nicht gegen sie loszuschicken; die Pferde hätten nicht lange galoppieren können. So war es zu einer Art Waffenstillstand gekommen - zu einem trügerischen Frieden, während alle auf das Ende der »Fünfzig« warteten.
    In der Dämmerung des achten Tages kam ein hebräischer Posten schwitzend ins Lager und meldete Zadok: »Eine leichte Brise weht über dem Wadi.« Zadok ließ Epher rufen; beide gingen sie um die Stadt und stellten fest, daß der Wächter recht hatte: Verheißungsvoll kam ein schwacher Wind von Norden her. Er war noch nicht stark genug, an den Zweigen zu rütteln, aber die Blätter der Ölbäume zitterten bereits. Zadok und Epher kehrten ins Lager zurück und beteten. Am nächsten Tag deuteten mancherlei Zeichen darauf hin, daß die »Fünfzig« endeten. Die Vögel, die geschlafen hatten, jagten wieder den Bienen nach, und die Esel, die nur im Schatten hatten liegen wollen, gleichgültig gegen Futter und Wasser, wurden wieder störrisch. Auf der Straße nach Damaskus erhob sich ein Wirbel von Staub und jagte dahin, und aus der Stadt hörte man Geräusche neuer Geschäftigkeit. »Morgen früh«, prophezeite Epher, »werden die Kanaaniter ihre Streitwagen wieder einsetzen wollen.« - »Morgen bläst ein starker Wind«, prophezeite Zadok bei Sonnenuntergang.
    Ephers vier Kampfgruppen sammelten sich abends vor dem Heiligtum. Zadok segnete sie: »Unser Geschick liegt in den Händen El-Schaddais, des Gottes der Heerscharen. Von alters her ist Er uns im Krieg vorangegangen. Ihr Männer von ungewöhnlichem Mut, die ihr am Tor kämpfen werdet: El-Schaddai ist bei euch. Er bereitet euch den Weg.« Der Gott der Hebräer war kein gleichgültiger Gott, der sich fernhielt vom Schlachtfeld; er kämpfte Seite an Seite mit seinen Kriegern, entschlossen, ihnen den Sieg zu erstreiten. »Wenn ihr euch heute zur Ruhe legt«, fuhr Zadok fort, »erinnert euch, daß wir Schlimmeres durchgemacht haben. Als wir östlich Damaskus uns durch die Wüste quälten, vor Durst umkamen, rettete uns El-Schaddai. Laßt uns am heutigen Abend dieser Tage gedenken und Mut fassen.« Und auf El-Schaddais Befehl erhob sich der Wind. Schon fühlten sich die Kanaaniter hinter den Mauern von Makor neu belebt: Jetzt konnte man endlich wieder die Streitwagen gegen die törichten Hebräer loslassen, die nicht begriffen, daß es sinnlos war, in Massen gegen die Mauern anzurennen. In der langen Geschichte der Hebräer hat es viele Zeiten äußerster Gefahr gegeben - Zeiten, in denen nur noch ein Wunder sie retten konnte, weil die Tapferkeit der Männer allein nicht ausreichte. Wer unvoreingenommen die wie Wunder anmutenden Fügungen im Laufe von dreieinhalb
    Jahrtausenden Geschichte überblickt, wird schwer sagen können, worauf diese Wunder beruhten. Ist es Bestimmung gewesen? Zufall? Oder das Eingreifen eines Gottes wie El-Schaddai? Kaum eine Schicksalswende aber ließe sich schwerer erklären als jene an diesem windigen Vormittag im Sommer des Jahres 1419 v. Chr. In einer Stadt, die gefährlichste Belagerungen überstanden hatte, vor deren Mauern selbst Ägypter und Amoriter hatten weichen müssen, standen vierzehnhundert wohlgenährte, gutbewaffnete Kanaaniter, verstärkt durch fünfhundert Bauern aus der Umgegend. Sie hatten Waffen aus Metall, hatten Pferde und Streitwagen. Ihre Gegner waren weniger als siebenhundert schlechtbewaffnete Hebräer unter der Führung eines alten Mannes, der den Krieg verabscheute und immer wieder seine Bereitschaft bekundet hatte, unter nahezu jeder Bedingung Frieden

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