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Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A Michener
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er je vor Stolz übermütig werden sollte, kann er darauf hingewiesen werden, daß bei Erschaffung der Welt selbst die Fliege vor ihm kam!<« Er stockte und fuhr dann fort: »Rab Naaman hat ferner gesagt: >Das Kamel war so eitel, daß es Hörner haben wollte; deshalb wurden ihm die Ohren genommen.«« Die Rabbinen hörten zu, ohne sich zu äußern, und Ascher schloß: »Rab Naaman hat gesagt: >Der Mensch wird mit zusammengeballten Händen geboren, aber er stirbt mit weit offenen und leeren Händen. Die
    Eitelkeiten, an die er sich klammert, entziehen sich ihm am Ende, daher sollte er sich während seines Lebens nicht um sie sorgen.<« Die Rabbinen lauschten zustimmend, und dann machte ein alter Mann, ohne ein Wort zu sprechen, Ascher Platz. So wurde der Gottesmann zu einem der großen Lehrer des Gesetzes und arbeitete mit am Glaubensgefüge des Judentums. Den vier großen Pfeilern, die der Allmächtige zur Erhaltung der Juden errichtet hatte - Eingottglaube, Thora, religiöse Lyrik als persönliche Aussage, Prophetentum -, fügte Er zwei weitere hinzu: den Talmud und die dieses Werk ausdeutenden Rabbinen. Damit hatte Er das Gebäude des Glaubens errichtet, das Seine Juden künftig beherbergen sollte. Was Gott vom Rabbi forderte, war unschwer einzusehen, denn es bestand kein allzu großer Unterschied zwischen diesem und dem alten Priester des El-Schaddai oder den neuen Priestern der christlichen Kirche. Der Rabbi war freilich gelehrter als der Priester El-Schaddais, und er war dem Alltag mehr verpflichtet als der christliche Priester, denn er mußte beweibt sein, und seine Gemeinde schätzte es, wenn er fünf oder sechs Kinder hatte, weil er so auch Verständnis für die Mühsal des einfachen Mannes aufzubringen vermochte. Der Rabbi hatte außerdem durch eigene Arbeit für seinen Lebensunterhalt zu sorgen -von den Gelehrten, die Rabbi Ascher in Twerija kennenlernte, war einer Fischer vom See Genezareth, einer Holzhacker, einer Schlächter und einer Schreiber, der Abschriften der Thora herstellte. Und noch einen Unterschied gab es: Kein Rabbi hatte sich je dem Zwang irgendeiner Hierarchie zu unterwerfen. Er schloß lediglich einen persönlichen Vertrag mit der Gemeinde, die ihn berufen hatte. Nicht wenige Rabbinen waren, wie der größte unter ihnen, Akiba, hervorragende Gelehrte und begabt mit einem Gedächtnis, wie man es in anderen Berufen kaum fand. Der Rabbi diente seiner Gemeinde als religiöser Lehrer ebenso wie als Berater und als
    Richter über Leben und Tod - er verkörperte das Gewissen seiner Gemeinde, wie Rabbi Akiba es in die mahnenden Worte gefaßt hatte: »Wenn du in einem Gerichtshof sitzest, der einen Mann zum Tode verurteilt, so enthalte dich den ganzen Tag des Essens, denn du hast einen Teil deiner selbst getötet.« An allem und jedem im Leben seiner Gemeinde hatte der Rabbi teil, und jede der Heimsuchungen, die sie immer wieder durchleiden mußte, erlitt er mehr als alle anderen. Diese innige Verbundenheit lebte Ascher ha-Garsi vor. Bei den langen Erörterungen unter dem Weinstock erwies er sich bald als wahrer Gottesmann, denn was er sagte, diente nur dem einen Ziel, den Willen des Allmächtigen zu erfahren; stets sprach er in Demut, sprach als der kleine Mensch, der nicht fähig ist, die Ratschläge des HErrn unmittelbar zu erkennen, wohl aber sie zu erfassen vermag, wenn er den Kopf senkt und das flüchtige Flüstern auffängt. Und da er Gott näher war als die meisten Menschen, litt er schwerer, wenn sie dem Gesetz des HErrn zuwiderhandelten, und stets war er bereit, sich zu erniedrigen im Versuch, Gott und Mensch einander nahezubringen. So mochte ein frommer Rabbi wie Ascher ha-Garsi im wesentlichen einem christlichen oder buddhistischen Priester gleichen. Des Allmächtigen letzter Pfeiler jedoch, der Talmud, hatte keinerlei Vergleichbares bei den anderen Weltreligionen. Als eine Großtat des Geistes wurde er zum Herzstück des Judentums. Aus zwei Teilen besteht der Talmud: aus der Mischna und der Gemara. Die Mischna war etwa achtzig Jahre vor Rabbi Aschers Geburt von Rabbi Akiba und seinen Nachfolgern zusammengetragen worden; jetzt arbeiteten die Gesetzeslehrer in Twerija und Babylonien mit ihren Interpretationen am zweiten Teil. Als Mischna und Gemara um das Jahr 500 vereinigt wurden, war der Talmud abgeschlossen. Und was ist die Mischna? Die weise Lösung eines schwierigen Problems: Der HErr hat nach jüdischer Glaubensüberlieferung dem Mose zweierlei Gesetz übergeben, einmal das auf

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