Die Quelle
können genauso ein Lied davon singen wie wir. Ich erinnere nur an den Crash, als in Teilen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens, Österreichs und Spaniens der Strom ausfiel. Bis Marokko reichten die Auswirkungen.«
»Aber so flächendeckend wie jetzt? Das ist doch unmöglich«, erwiderte Sieber.
»An sich schon, wenn man bedenkt, dass gerade in Deutschland und im europäischen Verbundnetz alle Komponenten, ob nun Kraftwerke, Transformatoren oder Leitungen, so ausgelegt sind, dass der Ausfall einer einzigen aufgefangen werden kann. Aber es passiert immer wieder. Immer dann, wenn mindestens zwei Ereignisse zusammenkommen.«
Hagen wartete, bis Sieber sein Kopfschütteln einstellte.
»Häufiger im Kleinen, in Teilnetzen mit glimpflichen Folgen, aber durchaus auch im Großen. Trotz aller Absicherungen. Und immer wieder wird festgestellt, dass bei diesen großflächigen Crashs mehrere Komponenten zusammenkamen, was nach allen Wahrscheinlichkeitsberechnungen so niemals hätte geschehen können. Man könnte es auch Zufälle nennen.«
»Damit sagen Sie doch, dass wir machtlos sind. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen.« Das Gesicht des Kanzlers verdüsterte sich. »Dabei pumpen wir Milliarden in die erneuerbaren Energien. Die Chefs der Stromkonzerne erzählen mir andauernd, dass wir zu viel Strom produzieren, dass sie ihre Kraftwerke drosseln müssen, wenn der Wind ordentlich bläst.«
»Das ist ja auch so, weil die Konzerne zur Abnahme des aus regenerativen Quellen gewonnenen Stroms gesetzlich verpflichtet sind.«
»Das wissen wir, Hagen«, sagte Sieber trocken. »Wir wissen auch, dass neue Kraftwerke und Windkraftanlagen überwiegend im Norden und Osten Europas gebaut werden, weil der Wind eben dort die nötige Power hat.«
»Aber der erhöhte Energiebedarf besteht vornehmlich im Süden und Westen. Der Strom muss folglich transportiert werden, aber damit sind die Leitungen immer häufiger überlastet. In den letzten Jahrzehnten ist zu wenig in die Netzinfrastruktur investiert worden. Weltweit. Netzprobleme waren doch bei allen großen Stromausfällen mit eine der Ursachen.«
»Das ist doch alles bekannt!« Sieber hob abwehrend die Hand. »Das ist doch nicht neu. Wir wollen keine Probleme hören, wir wollen Lösungen für unser Problem hier, Hagen. Sie beraten jetzt den Kanzler!«
Genau das ist es, dachte Hagen. Wirklich ernst genommen hatte die Politik die Warnungen nie. Warum sollte man die Öffentlichkeit auch beunruhigen? Bisher war ja alles immer glimpflich abgelaufen.
»Vor einem Jahrzehnt gab es achtzig auf das Jahr verteilte kritische Tage, an denen die Netze in Deutschland an ihrer Kapazitätsgrenze arbeiteten. Seit ein paar Jahren ist den ganzen Winter über die Stromversorgung gefährdet. Auch wenn niemand davon erfährt.«
Es klopfte. Der Wachhabende des Lagezentrums stand in der Tür des Kanzlerbüros.
»Entschuldigung, aber ich muss stören. Ich habe eine Nachricht für Herrn Hagen. Eine vermutlich wichtige Nachricht.«
»So wichtig?«, fragte Hagen erstaunt und musterte den Wachhabenden unwirsch. Er war kurz davor, das Experiment in Greifswald und die Vorfälle um Kemper und das Institut anzusprechen. »Hat das nicht Zeit?«
Der Wachhabende straffte den Körper. Sein Blick ruhte einen Moment auf dem Gesicht des Kanzlers, dann sah er Hagen an.
»Ich halte die Nachricht, auch wenn ich sie nicht wirklich verstehe, immerhin für so wichtig, dass ich meinen Posten verlassen und Sie in Ihrem Büro gesucht habe. Da ich Sie dort nicht antraf, habe ich aufgrund der außergewöhnlichen Situation angenommen, Sie seien hier.«
»Dann sagen Sie es, wenn die Nachricht so wichtig ist«, meinte Hagen, der Fischers ungeduldigen Blick bemerkt hatte. Ein gereizter Kanzler war für die Unterstützung und Rückendeckung, die er erbitten wollte, ein unnötiger Stolperstein. »Hier kann jeder alles hören. Ich habe keine Geheimnisse.«
»Sie haben heute Nacht über das Satellitentelefon, auf dem die Nachricht eingegangen ist, mit der Person Verbindung gehabt, die die SMS geschickt hat.«
»Ja und?« Hagen verstand überhaupt nicht mehr, was der Wachhabende wollte. Er hatte die SMS gelesen, bevor er zum Kanzler gegangen war. Kemper hatte sich kurz nach sechs gemeldet.
Bin im Wiecker Hafen. Polizei da. K.
Was wollte der Wachhabende also?
»Ich habe die SMS gelesen«, sagte Hagen gereizt.
»Das können Sie nicht. Sie ist eingegangen, nachdem Sie das Handy zurückgebracht haben.«
Hagen schoss das Blut in den Kopf.
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