Die Quelle
konnte ja jederzeit damit weitermachen. Wie er gerade Lust hatte.
»Es ist aber so!«, antwortete sie mit schluchzender Stimme. »Er sagte: ›Sie können mich entführen, sie können meine Erfindung aus mir herausquetschen - das alles können sie tun. Aber ohne die Unterlagen wird es ihnen nicht gelingen, die Rechte an der Erfindung durchzusetzen.‹ Das waren seine Worte.«
»Was sind das für Unterlagen? Sehen Sie mich an!« Er hielt ihren Arm immer noch fest und wollte ihn bereits erneut verdrehen, als sie ihn endlich ansah. »Wissen Sie das?«
Sie hatte die Lippen zusammengepresst, um nicht sofort wieder zu schreien. Er grinste, lockerte seinen Griff.
»Sein Experiment ist dort erklärt. So habe ich Kemper jedenfalls verstanden. Egal, was auch passiert, die Unterlagen würden für alle Zeiten belegen, dass er derjenige sei, der die Energieprobleme der Welt gelöst hätte. Selbst wenn man ihn umbringen würde.«
»Kemper leidet an Größenwahn!«
»Er scheint jedenfalls so wichtig zu sein, dass man Sie losgeschickt hat, ihn zu entführen. Für wen tun Sie das?«
Duvall grinste. Sie versuchte es also doch. Sie war zwar voller Angst, aber dennoch in der Lage, überlegt zu handeln. Sonst hätte sie die Frage nicht gestellt. Aber sie würde ihn nicht überrumpeln. »Wer unterstützt ihn? Hat er irgendeinen Namen genannt?«
»Oh ja, die deutsche Regierung. Er sprach von einem Berater des Kanzlers. Ein Mann namens Hagen.« Sie schwieg kurz. »Jetzt, wo Ihr Freund mit Kemper abgehauen ist, sind die Unterlagen Ihre letzte Chance, nicht wahr?«
Das war ja forsch, dachte Duvall. Jetzt macht sie sich schon Gedanken über meine Situation. War sie dabei, ihren Angstkäfig zu verlassen?
»Sie irren sich. Die Unterlagen sind Ihre letzte Chance - verstehen Sie das nicht?«
Kapitel 24
GREIFSWALD
Benn saß müde im halbdunklen Frühstücksraum des Hotels und löffelte ein paar Cornflakes mit kalter Milch. Es gab weder Kaffee noch Tee, und auf einigen Tischen flackerten Kerzen.
Er rieb sich sein unrasiertes Kinn. Er hatte nichts dabei, außer das, was er am Leib trug, ein Rasierer mit Akku gehörte nicht dazu. Sie hatten ihn am Vorabend einfach in das Hotel gebracht, ohne bei der Jacht vorbeizufahren.
Die kratzigen Bartstoppeln störten ihn nicht. Dass es aber selbst kaltes Wasser nicht mehr gab, weil die Pumpen der Wasserwerke ausgefallen waren, ließ ihn erahnen, was vielleicht noch bevorstand. Der Stromausfall legte alles lahm.
Bereits jetzt glichen die Toiletten stinkenden Kloaken. Für die Spülungen fehlte das Wasser, und die Abwasserrohre verstopften. Wie das am Abend aussehen würde, wollte er sich gar nicht ausmalen. Wenn die Wasserzufuhr weiter unterbrochen bliebe, würde die ganze Stadt an ihrem Dreck ersticken. Er hatte noch nie darüber nachgedacht, dass auch die Pumpstationen der Wasserwerke und der Abwasserleitungen ohne Strom nicht arbeiteten und nur wenige Stunden mit Notstrom versorgt werden.
Unwichtig, dachte Benn und starrte müde und mit leerem Blick in den Frühstücksraum. Seine Frau war entführt worden, und es gab nicht einmal den winzigsten Hinweis, was mit ihr passiert war. Er hatte schlecht geschlafen und war in der Nacht immer wieder schweißgebadet hochgeschreckt, um dann zurück in die quälenden Träume zu fallen.
Einer der Träume ging ihm nicht aus dem Kopf. Francesca rief nach ihm. Sie stand an einem Abgrund, nur gehalten von einem dünnen Seil um die Hüfte, dessen Ende Kemper in den Händen hielt. Kemper schrie lachend und winkte ihn heran, und jedes Mal, wenn er seine Frau fast erreicht hatte, ließ Kemper das Seil los, und Francesca stürzte in den Abgrund, lang und schrill seinen Namen schreiend.
Benn sah ahnungsvoll auf, als die Tür des Frühstücksraums aufgestoßen wurde und gegen die Wand stieß. Ela Stein betrat mit suchendem Blick den Raum und kam auf ihn zu.
»Wir brauchen Sie. Es gibt Neuigkeiten«, sagte sie, als sie an seinen Tisch trat.
»Guten Morgen!« Benn musterte die Kommissarin, die anstelle des Schlabberlooks des Vortages enge Jeans, eine weiße Bluse und darüber eine halblange Lederjacke trug.
»Auch das. Der Entführer Ihrer Frau hat sich gemeldet. Er will Sie sprechen!«
»Sagen Sie mir doch mehr!«, rief Benn, während sie zum Hotelausgang rannten, der auf den Greifswalder Marktplatz führte.
Der einstige Reichtum der alten Hansestadt war fast mit den Händen zu greifen. Die Häuser, die den Platz begrenzten, waren ausnahmslos liebevoll
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