Die Quelle
nicht wüssten, wann sie das Problem in den Griff bekommen würden.
Die Skeptiker verglichen die Eigendynamik des Zusammenbruchs mit dem Beinahe-Crash vor ein paar Jahren an der Wall-Street. Damals hatte ein Computer aufgrund einer Fehlfunktion Verkaufsorders veranlasst, was wiederum einen Kaskadeneffekt ausgelöst hatte, in dem aufgrund dieser Orders auch andere Computer automatisch, ohne menschliches Zutun, einfach aufgrund hinterlegter »Wenn-dann-Logiken«, Millionen von Verkaufsorders erzeugt hatten.
Die Börsenkurse hatten damals zu einer beispiellosen Talfahrt angesetzt, die durch nichts anderes begründet war, als durch eine sich immer weiter ausbreitende Welle von Verkaufsorders.
Nach etwa der gleichen Logik waren, vereinfacht dargestellt, die Stromnetze aufgrund von Fehlern in der durch Computer eigenständig gemanagten Netzsteuerung zusammengebrochen. Die Netzsteuerung sicherte insbesondere eine gleichbleibende Netzfrequenz, steuerte die Schutzvorrichtungen und Übergabestationen, die bei zu niedriger Frequenz Leistung aus den Kraftwerken oder anderen Netzen zuführten und bei zu hoher Frequenz Leistung aussteuerten.
Immer war das Ziel, die Netzfrequenz stabil zu halten. Gelang das nicht, wurden die betroffenen Netze abgeschaltet.
Auch hier, so meinte man, hatte ein Kaskadeneffekt die Netze abgeschaltet, nachdem in irgendeinem Netz die Störung begonnen und auf andere Netze übergegriffen hatte.
Den Grund dafür kannte man noch nicht. Die inzwischen lokalisierten Schäden in Umspannwerken und Übergabestationen waren Folge, nicht Ursache der Probleme.
Die Netzsteuerung erfolgte üblicherweise vollelektronisch, ohne Eingriffe durch Menschenhand. Dramatischer Höhepunkt war, dass auch das Umschalten auf händische Steuerung der Netze wirkungslos blieb. Urplötzlich war man nicht mehr Herr der Technik.
»Sie sagen mir jetzt, dass wir bald wieder Strom haben?« Hagen wusste aus dem Krisenstab, dass der innere Notstand ausgerufen werden sollte, wenn bis zum Abend der Strom nicht wieder floss. Dann konnten insbesondere die Ressourcen der Bundeswehr auch zur Unterstützung der Polizei genutzt werden, denn die technische Amtshilfe, die derzeit geleistet wurde, beinhaltete nur Logistikunterstützung.
»Nein.« Berger schüttelte den Kopf. »Es ist eher anders herum. Es gibt Meldungen, dass da nicht nur zu viel oder zu wenig Strom in den Leitungen herumtobte, als es crashte. Da soll auch ein Computervirus durch die Netzte schleichen, der sich ausbreitet und europaweit die Netzsteuerung immer wieder lahmlegt.«
»Cyber-War?« Hagen sprang auf.
Die große, neue und nur schwer greifbare Gefahr des Computerzeitalters. Statt Soldaten auf Schlachtfelder zu schicken, schleuste man zielgerichtet Computerviren in die digitale Welt, griff im Stillen die Steuerungszentralen für alles an, was von Computern abhängig war, versteckte die Viren in den digitalen Tiefseegräben - und wartete ab.
Bis zu dem Tag, an dem man sie brauchte. Mit einem winzigen elektronischen Impuls erwachten die Cybermonster in ihrem Versteck zum Leben, sofort und ohne Anlaufzeit oder Schuldgefühle für ihre zerstörerischen Schandtaten gerüstet. Unauffällig und unerkannt reihten sie sich ein in das Meer der Bits, um die gesamte Infrastruktur eines Landes lahmzulegen, denn es gab in den hoch entwickelten Ländern praktisch keinen Bereich, der nicht auf Computerbefehle gehorchte.
Warum, so fragte sich Hagen, war er nicht darauf gekommen? Die Stromnetze waren ein geradezu idealer Angriffspunkt für unvorstellbare Schäden, da eine sichere Stromversorgung die Grundlage der modernen Welt war.
Natürlich kannte er geheime Gefahrenszenarien, die sich mit dieser stetig wachsenden Gefahr beschäftigten. Von hundertdreißig Ländern in der Welt war bekannt, dass sie Hacker-Trupps unterhielten, um bei kommenden Auseinandersetzungen so oder so ähnlich die Infrastruktur des Gegners auszuschalten.
In manchen Ländern arbeiteten nur ein paar Leute an dieser neuen Form der Niedertracht, in anderen Hunderte. Und es gab Stimmen, die behaupteten, dass in die digitalen Netze der Industrienationen längst entsprechende Viren eingeschleust worden waren, die nur auf ihren Weckruf warteten.
»Und es kommt noch besser.« Berger saugte heftig am Filter seiner Zigarette. »Eine Meldung besagt, dieser Virus sei erstmals in dem Netz aufgetreten, das dort oben im nordöstlichen Mecklenburg-Vorpommern die Stromversorgung steuert.«
»Sie meinen, da besteht ein
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