Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
Wissenschaft: die Vorstellung, die Erde sei eine Scheibe, wurde begraben. Dann wurden die Geheimnisse der Schwerkraft enthüllt, die der Elektrizität und die von Raum und Zeit. Die Brüder Wright zeigten, dass der Mensch fliegen kann. Einstein bewies, dass die Zeit nicht ›einfach so‹ läuft, sondern dass sie langsamer oder schneller gehen und sogar stillstehen kann, und dass wir mit einem Teleskop, das groß genug ist, fast bis zum Urknall in die Vergangenheit blicken können. Niemand konnte sich vorstellen, dass man das Geheimnis und die Macht des Atoms jemals würde ergründen können. Wer hätte geglaubt, dass die Spaltung von etwas unvorstellbar Kleinem eine Großstadt zerstören kann? Dinge, die man für undenkbar hielt, wurden zu Binsenweisheiten. Dinge, die man für Zauberei hielt, wurden greifbar. Vor tausend Jahren konnte der Mensch sich nicht einmal vorstellen, dass er einst die Macht besitzen würde, mit dem anderen Ende der Welt zu kommunizieren, ins All zu fliegen, auf dem Mond zu landen. Oder die Macht, in den menschlichen Körper hineinzuschauen und dessen Leiden zu heilen. Ein Mensch, der vor tausend Jahren gelebt hat, hätte diese Fähigkeiten einzig und allein Gott zugeschrieben.
Nun, was wir heute für unmöglich halten, wird in fünfhundert Jahren eine Selbstverständlichkeit sein. Die Kinder werden bereits im Kindergarten lernen, was heute die klügsten Köpfe des Massachusetts Institute of Technology ergründen. Stellen Sie sich vor, wir könnten die Frage beantworten, wie man das Leben der Menschen verlängern kann. Eines von Gottes größten Geheimnissen lösen!« Julian erhob sich, griff nach der Weinflasche, ging zur anderen Seite des Tisches und schenkte Stephen ein. »Ich glaube, dass sich die Antwort darauf in der Schatulle befindet, die Ihr Sohn für mich sucht.«
»Heißt das, Sie haben meinen Sohn losgeschickt, um Mythen zu jagen und nach dem Brunnen ewiger Jugend zu suchen?«
»Mythen?«, wiederholte Julian gedehnt und starrte Stephen an.
Stephen hielt seinem Blick stand, sagte aber nichts.
»Nehmen Sie als Beispiel die Sintflut. Wie Sie sagen«, Julian kehrte an seinen Platz zurück, »ist sie ein Mythos, über den in der Bibel berichtet wird. Sie spricht in den höchsten Tönen von Noah und seiner Familie, von der Arche und den vierzig Tagen sintflutartiger Stürme und davon, dass die Erde von Mensch und Tier gesäubert wurde. Doch jede Kultur, von Afrika bis China, von Peru bis Europa, hat eine ähnliche Geschichte über einen gewaltigen Sturm, eine Überflutung der Welt, bei der der größte Teil allen Lebens ausgelöscht wurde. Gottes Zorn, der sich über die Menschheit ergoss. In der Zwischenzeit wurde wissenschaftlich bewiesen, dass sich um 6000 vor Christus tatsächlich eine Sintflut ereignet hat. Manche Mythen sind Tatsachen, und manche Tatsachen sind Mythen. Es läuft manchmal nur darauf hinaus, was wir persönlich glauben wollen. Und ich glaube, dass wir die Antwort auf die Frage nach dem ewigen Leben in der Schatulle finden, die Ihr Sohn für mich sucht.«
Stephen starrte Julian an, alle hätte er einen Verrückten vor sich. Und wider besseren Wissens lachte er. »Vielleicht gibt es ein paar Antworten, die wir niemals bekommen sollen«, sagte Stephen. »Wenn wir wüssten, was das Schicksal für uns bereithält, würden wir das Leben dann nicht vielleicht ganz anders angehen? Wenn wir wüssten, dass uns in der Zukunft Scheitern und Versagen drohen, würden wir dann nicht den Antrieb verlieren, dieses Leben zu erlangen? Wenn wir wüssten, dass wir es im Leben zu etwas bringen, würden wir uns dann nicht ausruhen und unser Schicksal damit in andere Bahnen lenken?« Stephen nahm einen großen Schluck Wein und sprach weiter. »Wenn wir eine Pille schlucken könnten, um länger zu leben, würden wir damit nicht unsere Lebensfreude verringern, weil wir nicht mehr im Hier und Jetzt leben, sondern alles vor uns herschieben und unser Leben vertagen würden aus dem Gedanken heraus, dass ja immer noch Zeit bleibt? Der Mensch hat die Aufgabe, die Antwort auf die Geheimnisse des Lebens mit allen Sinnen zu erfahren. Er soll sie nicht in irgendeiner Märchenschatulle finden.«
Julian lächelte. »Worte, wie nur ein Anwalt sie sprechen kann. Kein Platz für Glauben an die Geschichte. Für Gott ist kein Sitz mehr frei im Gerichtssaal.«
»Hören Sie auf mit dem Blödsinn. Sie entführen mich, erpressen meinen Sohn, schicken ihn möglicherweise in den Tod, damit er irgendeinem
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