Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
biblischen Gerücht nachjagt, und da sitzen Sie hier und nennen sich einen Mann Gottes? Wenn die Welt es nur wüsste … ich bin ein besserer Christ als Sie, und ich habe meinen Glauben verloren.«
»Das Time Magazin würde Ihre Meinung nicht teilen. Die haben mich zu einem Propheten der Neuzeit gekürt, der die Gegenwart in die Vergangenheit und Zukunft einbinden kann. Ich habe überall auf der Welt Anhänger. Ich wette, sogar in Ihrer Kanzlei.«
»Das Time Magazin hat auch Hitler zum Mann des Jahres gewählt. Zweimal«, erwiderte Stephen, und seine Stimme triefte vor Verachtung. »Sie sind nichts anderes als eine Sekte.«
»Mag sein, aber wo ist die Grenze zwischen einer Religion und einer Sekte? Worin besteht der Unterschied? Ich werde es Ihnen verraten. In der Zahl ihrer Anhänger. Weniger als zwanzig sind ein Verein, weniger als dreitausend sind eine Sekte. Aber wenn Sie fünfhunderttausend Anhänger haben, wie es bei uns der Fall ist, dann ist es eine Religion. Wir sind so groß wie Scientology, wir sind ein Zwanzigstel des Judentums, und uns gibt es erst ein paar Jahre. Stellen Sie sich vor, wie groß wir in fünftausend Jahren sein werden.«
»Religion? Sie bedienen sich doch lediglich der paar Fetzen von Glauben, die mit Ihren persönlichen Ansichten übereinstimmen.«
»Sie meinen, wie der Katholizismus, wie die Splittergruppen des Christentums, die Church of England, die Heinrich der Achte schuf, weil er eine Scheidung wollte? Oder wie die Griechisch-Orthodoxen, die Russisch-Orthodoxen, die Baptisten, Methodisten, Episkopalen, Presbyterianer, Protestanten – alle geschaffen und etabliert auf der Basis der Unterschiede, die zwischen ihnen und der Kirche bestanden. Ich tue genau das Gleiche.«
»Nein«, entgegnete Stephen. »Sie tun es für Geld. Hier geht es ausschließlich um Gier, nicht um Glauben. Ihre Religion dreht sich um Sie persönlich und den allmächtigen Dollar. Sie bieten keine neue Form spiritueller Erleuchtung oder moralischer oder ethischer Wegleitung. Sie bieten eine Ware.« Stephen lachte in sich hinein. »Sie sind ein Konzern, der sich als Religion maskiert. Ihre Anhänger sind dermaßen besessen vom Hier und Jetzt, dass sie sich wahrscheinlich niemals Gedanken über ewiges Leben machen.«
Julian starrte Stephen an, und sein Gesicht lief rot an. Er griff nach seinem Glas, nippte langsam an seinem Wein und zwang sich zur Ruhe. Dann drückte er sich die Hand an die Schläfen und vollführte kreisende Bewegungen, als könne er seine Wut auf diese Weise vertreiben.
Ohne dass ihnen jemand einen Wink gegeben hätte, kamen die Dienstboten aus den Ecken hervor und räumten den Tisch ab. Gleich darauf erschienen sie wieder und servierten zwei Torten und verschiedene Sorbets, bevor sie wieder in den Schatten verschwanden.
Schließlich meldete Julian sich wieder zu Wort und begann, als hielte er eine Predigt: »Überall auf der Welt verbringen die Menschen einen großen Teil ihrer Zeit damit, um Erlösung zu beten, um das ewige Leben nach dem Tod. Was, wenn man ihnen das ewige Leben hier auf Erden bieten könnte?«
Stephen lachte und wandte den Blick ab.
»Vielleicht nicht das ewige Leben«, sagte Julian, »aber eine Lebensspanne von hundertfünfzig Jahren. Denken Sie mal darüber nach.«
»Und denken Sie mal über die Ressourcen nach, die man dafür brauchen würde«, entgegnete Stephen. »Die Menschen würden einander zu Tode drängeln.«
»Ich habe nicht gesagt, dass jeder so lange leben würde.« Julian funkelte Stephen böse an.
»Nur die Reichen, was?«
»Nein. Die Menschen, die durch harte Arbeit die Fähigkeit erlangt haben, sich ein längeres Leben leisten zu können. Es wäre nicht anders, als es heute ist. Die Reichen haben Zugang zu den besten Ärzten und den teuersten Behandlungen, während die Länder der Dritten Welt unter der Last von Krankheiten leiden. In Sierra Leone beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung sechsundzwanzig Jahre, in den USA zweiundsiebzig Jahre. Wer in Afrika an AIDS erkrankt, lebt nur noch zwei Jahre. In den USA hingegen beträgt die verbleibende Lebenserwartung zehn Jahre, dank guter medizinischer Versorgung. So ist es nun mal. Es nennt sich Überleben der Tauglichsten.«
»Nein, es nennt sich Überleben der Reichen, und das wollen Sie ausbeuten. Ihre Habgier kennt keine Grenzen.«
»Halten Sie mir keine Moralpredigt! Sie besitzen mehr als fünfundsiebzig Millionen Dollar, und was haben Sie getan, um der Welt zu helfen? Sie hatten einen
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