Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
kannten, waren sie Freunde geworden. Aber Simon war immer noch Simon – ein Mann, der sein Leben mit völliger Hingabe in den Dienst Gottes stellte, der zugleich aber mehr Menschenleben beendet als gerettet hatte. Ein Mann, der niemals »bitte« sagte.
»Simon.« Michael fand sich damit ab, die Suche nach ihr aufgeben zu müssen und es Simon zu überlassen, sie zu finden. »Ich dachte, sie wäre tot.«
»Das dachten alle«, gab Simon leise zur Antwort.
Dann klickte es in der Leitung. Er hatte aufgelegt.
11.
D as elfenbeinfarbene Skullboot schoss über den Charles River. Die beiden Ruderer bewegten sich vollkommen synchron. Michael beobachtete, wie sie flussaufwärts hinter einer Biegung verschwanden, als er über die Longfellow Bridge ins Herz von Boston fuhr.
Sie hatten das Polizeirevier um fünf Uhr morgens verlassen und für die normalerweise dreistündige Autofahrt weniger als zweieinhalb Stunden gebraucht – wenn Busch seine Corvette fuhr, hielt er nichts von Zeitverschwendung. Sie waren sich einig, dass sie trotz Simons nachdrücklicher Bitte alles tun mussten, um Genevieve zu finden.
Zwar hatten sie behauptet, auf dem Polizeirevier erschienen zu sein, weil Busch wissen wollte, was bei den Untersuchungen in Sachen Autowrack herausgekommen war, doch ihr Besuch hatte in Wahrheit andere Gründe. Selbst heute, da er nicht mehr bei der Polizei war, galt Busch immer noch als der beliebteste Beamte des ganzen Reviers. Ob Neulinge oder alte Hasen – alle kamen zu ihm, um sich persönliche oder berufliche Ratschläge zu holen. So ging das schon seit zwanzig Jahren. Busch genoss in gewisser Weise mehr Respekt als Captain Delia.
Deshalb hatte Sergeant Joe Grasso nicht genauer nachgefragt, als Busch ihn um einen Gefallen gebeten hatte und Informationen über den Besitzer des Hauses Franklin Street 22 in Boston einholte – Dinge, die ihn im Grunde gar nichts angingen. Außerdem ließ Sergeant Grasso Busch freie Hand, als er sich in die Datenbank des Polizeipräsidiums einloggte und die Karteien des Straßenverkehrsamts, des FBI und die Datei des Online-Anbieters LexisNexis durchsuchte.
Der Ausdruck war kurz und dennoch befremdlich: Stephen Kelley war ein achtundfünfzigjähriger Rechtsanwalt mit einer florierenden Kanzlei. Da er früher Bezirksstaatsanwalt gewesen war, ging er jedem Fall aus dem Weg, der mit Strafverteidigung zu tun hatte, und verlegte sich stattdessen auf Unternehmensfusionen und Betriebsübernahmen. Sein privater, von Armut geprägter Hintergrund beinhaltete mehrere versiegelte Polizeiakten aus seiner Jugendzeit. Aber nach seinem zwanzigsten Lebensjahr entwickelte sich der Mann aus dem Südviertel Bostons zu einem Shootingstar, dem es gelungen war, aus eigener Kraft ein Vermögen von mehr als fünfundsiebzig Millionen Dollar anzuhäufen. Als Mäzen und Gönner engagierte er sich politisch und setzte sich für die Pflegeunterbringung und Adoption von Kindern ein.
Busch fuhr in den Stadtteil Beacon Hill. Hier wohnte Bostons Elite. Die Villen waren elegant und zeitlos schön; viele waren über hundert Jahre alt.
»Jeannie wird ganz schön sauer sein, wenn sie dahinterkommt, dass du Detektiv spielst«, sagte Michael, »denn sie wird sich sagen, dass eins zum anderen führt, und dass du ganz schnell wieder bei der Polizei landest.«
»Ich dachte, wir suchen nur nach deinen Eltern«, erwiderte Busch.
»Mehr tun wir ja auch nicht, aber Jeannie wird trotzdem sauer sein.«
»Sie ist nicht sauer«, sagte Busch. »Sie hat gesagt, ich soll dir helfen. Nachdem sie von Marys Brief gehört hatte, hielt sie es für eine gute Idee, dass ich mit dir fahre. Glaubst du, dieser Typ weiß, wer deine Eltern sind?«
»Das werde ich bald herausfinden.«
Busch bog ab und fuhr durch eine kopfsteingepflasterte Straße, vorüber an Haus Nummer 22, ein Einfamilienhaus aus Backstein, dessen dekorativer Marmorfries so weiß war wie an dem Tag, an dem man ihn gemeißelt hatte. Die Sträucher, die den Aufgang mit den fünf Treppenstufen säumten, der zur Haustür aus Mahagoni führte, waren symmetrisch geschnitten, als wären sie mit einer Schere in Form gebracht worden. Links und rechts neben der Tür hingen Gaslaternen und kündeten von einer Zeit, als es noch keinen elektrischen Strom gegeben hatte, wohl aber dieses Haus.
Dies hier war eine ganz besondere Adresse in einer exklusiven Straße; hier standen die Trophäen der Privilegierten und Wohlhabenden, die es durch Fleiß oder Erbschaft so weit gebracht hatten.
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