Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
zu Michael um. »Wonach suchst du, Michael? Was hoffst du zu finden? Geht es hier darum, deinen Dad zu finden? Oder geht es um Mary? Geht es darum, Bitten und letzte Wünsche zu erfüllen, um dich damit von Schuldgefühlen zu befreien?«
»Ich weiß es nicht. Aber …«
»Michael«, sagte Busch, »Mary ist tot. Nichts, was du tust, kann sie wieder lebendig machen. Solltest du aber deine leiblichen Eltern ausfindig machen wollen …«
Michael ging zum Tisch, nahm Marys Brief in die Hand und blickte seinen Freund an. »Hättest du Lust, nach Boston zu fahren?«
10.
O bwohl noch früh am Tag, herrschten bereits vierundzwanzig Grad, und die Feuchtigkeit sammelte sich auf den Fenstern von Buschs Wagen, als sie im Morgengrauen vom Parkplatz des Polizeireviers in Byram Hills fuhren. Der See war abgesucht worden; Taucher hatten den schlammigen Grund Stück für Stück durchkämmt. In der Einschätzung der Lage waren sich alle einig: Wer immer den Buick gefahren hatte, befand sich weder im Wasser noch am Seeufer oder sonst irgendwo in Nähe des Wracks. Man hatte an einer Stelle am Ufer Fußabdrücke gefunden, die aber nicht beweiskräftig waren – sie konnten einem Fischer gehören oder irgendwelchen Teenagern; mit Sicherheit wusste es niemand zu sagen. Die Herkunft des Wagens hatte man zurückverfolgt zu einer Autovermietung am Logan Airport in Boston, aber der Fahrer musste erst noch identifiziert werden – alles Dinge, die den Verdacht erhärteten, den Michael hegte.
Michael hatte sich sein Mobiltelefon unters Kinn geklemmt. Drei Minuten waren bereits vergangen, seit die Telefonistin im Vatikan ihn in die Warteschleife gelegt hatte. Er und Busch waren bei ihrer zweiten Cola, als aus seinem Mobiltelefon drei kurz aufeinanderfolgende Pieptöne erklangen. Dann fragte eine Stimme mit italienischem Akzent: »Michael?«
»Simon!« Michael konnte die Erregung, die in seiner Stimme mitschwang, nicht verbergen. Es war, als würde er die Geburt eines Kindes verkünden oder dass jemand auf wundersame Weise von einer schrecklichen Krankheit genesen war. »Sie ist am Leben«, sagte Michael.
»Wer?«
»Genevieve.«
»Sie lebt ?« Michael konnte Simons Verwirrung spüren. »Das macht keinen Sinn.«
»Es ist nicht zu glauben, ich weiß.«
»Hast du sie gesehen?«
»Nein. Es gab einen Autounfall …« Michael brachte Simon auf den neuesten Stand. Als er die Geschichte erzählte, erschien sie ihm selbst kaum glaubhaft. Er erzählte von der Handtasche und der Visitenkarte und davon, dass die Adresse mit der Anschrift übereinstimmte, die Mary ihm gegeben hatte. Schließlich berichtete er, dass die Polizei keine Leiche gefunden hatte.
»Aber gesehen hast du sie nicht?«, hakte Simon nach.
»Nein«, gab Michael widerwillig zur Antwort.
»Hast du nach ihr gesucht?«
»Damit haben wir gestern Abend angefangen, als wir noch gar nicht wussten, wonach wir suchten. Die Polizei hat den See durchkämmt, aber da ist nichts. Sie ist verschwunden, Simon. Ich weiß nicht, wie, aber sie ist verschwunden.«
Im nächsten Moment fiel Michael etwas auf: Simon hatte Genevieves Wiederauferstehung, ihr plötzliches Wiedererscheinen mit keinem Wort hinterfragt, als wäre sie nie tot gewesen.
»Ich muss auflegen«, sagte Simon plötzlich.
»Sag mir, was ich tun kann.«
»Nichts. Halt dich da raus, Michael.« Simons Stimme klang ernst; seine Bitte hörte sich eher wie ein Befehl an.
»Du kennst mich zu gut, Simon, um mich so abzuspeisen. Ich dachte, sie wäre tot. Um Gottes willen – du hast bei ihrer Beerdigung die Trauerrede gehalten! Was geht hier vor?«
»Halt dich da raus«, beschwor Simon ihn. »Ich werde sie finden.«
»Aber sie war hier, auf dem Weg zu mir!«
»Wenn sie da war, ist sie längst wieder weg.«
»Woher willst du das wissen?«
Es folgte Schweigen, das sich endlos hinzuziehen schien und immer wieder von atmosphärischen Störungen unterbrochen wurde.
»Jemand könnte sie entführt haben«, sagte Michael schließlich. »Vielleicht ist sie auf der Flucht. Du weißt ja nicht mal, wo du suchen sollst.«
»Ich weiß, wo ich mit meiner Suche anfangen muss«, gab Simon zurück. »Und ich weiß auch, dass sie deine Freundin ist. Aber glaub mir, Michael: Du kannst sie nicht beschützen.«
»Sie beschützen?« Mit einem Mal war Michael hellwach. »Wie meinst du das? Wovor beschützen?«
»Bitte, halt dich da raus. Wenn sie am Leben ist, werde ich sie finden.«
In den achtzehn Monaten, die Michael und Simon einander jetzt
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