Die Quelle
Zeuge, als Opfer, als Täter… Als was auch immer
dir beliebt… Niemals, niemals würde ich aufhören, dich zu verehren.
Bitte, ich bitte dich in meinen Gedanken zu lesen. Ich bitte dich darum, denn
ich weiß, dass du bislang darauf verzichtet hast. Obwohl ich nicht
weiß, weshalb du es getan hast, bin ich dir dankbar dafür. Doch nun
bitte ich dich, zu lesen, was ich empfinde und nicht auszusprechen wage, und
ich flehe dich an, die Wahrheit meiner Worte zu enthüllen.“
Loodera bebte am ganzen Leib. Noch immer stand sie neben
ihm, noch immer hatte sie ihre Hand auf der seinen und er hätte nichts
lieber getan, als sie für ihr anmaßendes Verhalten zu vernichten.
Jetzt da er ihre Gedanken las, wusste er, dass sie das Risiko einer Strafe
bewusst eingegangen war, nur um ihm noch einmal nahe zu sein. Bedingungslose
Hingabe erfüllte diese Frau, die bereit war, alles von ihm zu erdulden,
jeden seiner Wünsche zu erfüllen und nicht nur sein Vergehen an
Leathan zu billigen, wie er es von Anfang an geplant hatte, sondern sogar mit
ihm gemeinsam sich an Leathan für seine Tat zu rächen. So
mächtig und selbstlos war ihre Leidenschaft und so fremd die Liebe und das
Verlangen, die darin mitschwangen, dass diese menschliche Gefühlswelt
seine Wut linderte… doch seine Rachsucht nicht verfliegen ließ.
Er konnte alles von ihr verlangen und er würde viel
verlangen, mehr als sie erträumte, mehr als sie ertragen konnte. Sie war
Teil seiner Rache an Leathan. Als er ihre Lippen an die seinen presste und ihr
Körper sich ihm ergab, wusste er, dass er nicht nur in Kürze die
Unschuld ihres Körpers rauben würde, sondern auch die ihres Geistes.
Kapitel 8
Die Hohepriesterin Balderias ging durch den Tempel ihrer
Göttin. Ihr seidenes Kleid wehte leicht in dem Luftzug, der durch die
vielen offenen Fenster hinein fand und der Atmosphäre des Haupsaals des Tempels
eine gewisse Leichtigkeit und Frische verlieh. Der hohe, lichtdurchflutete Raum
wirkte mehr wie ein luxuriöses, überdimensionales Wohnzimmer denn wie
ein Tempel. Sitzecken luden zum Verweilen ein, ätherische Öle
verströmten ihre beruhigenden Lavendeldüfte, Getränke und
Gläser auf den Tischen boten verlockende Erfrischungen an. Vor dem
verhältnismäßig kleinen, mit Samt überzogenen Altar
standen zwar reihenweise Sitzbänke, doch auch diese waren mit farbigen
Stoffen überzogen und trübten keineswegs das harmonische Bild.
Heute hatte die Hohepriesterin jedoch für die
Schönheit des Tempels kein Auge übrig. Sie ging entschlossen zu einer
der Sitzecken, in der bereits die Priester auf sie warteten, die ihre engsten
Vertrauten waren. Sie waren sieben an der Zahl, unter ihnen nur zwei
Männer. Als sie sich ihnen näherte, verstummte die leise plaudernde
Gruppe und erhob sich. Ihr Respekt galt sowohl ihrem Rang, als auch ihrer
atemberaubenden Schönheit, die für sie alle der Beweis war, dass
Balderia sie schon am Tage ihrer Geburt gesegnet hatte.
„Setzt euch, setzt euch. Wir können die
Formalitäten beiseite lassen.“
Sie nahm in einem der weichen, bequemen Sessel Platz, und
befolgte somit als erste ihre eigenen Anweisungen.
„Lilldaye, was ist los?“
Lilldaye war nicht etwa der Name, den die Hohepriesterin
bei ihrer Geburt erhalten hatte, sondern der Name, der stets von den
Hohepriesterinnen Balderias getragen wurde, in Ehren an die Frau, die als erste
den Weg der Göttin der Liebe beschritten hatte. Lilldaye seufzte.
„Wir haben schwere Entscheidungen zu fällen. Ich
kann nur hoffen, dass Balderia uns weiterhin zur Seite stehen wird.“
Die Priester blickten auf das Antlitz Lilldayes. Schwere
Entscheidungen zu fällen, war bislang eine Aufgabe, die die Priester der
anderen Götter übernommen hatten. Liebe und Schönheit bedurften
keiner Entscheidungen. Dennoch war ihnen allen bewusst, dass seit Balderia
ihnen erschienen war, ihre Rolle als Priester in den Geschehnissen der Welt
einen ganz anderen Weg eingeschlagen hatte. Die Zeiten, in denen sie sich
hatten einfach von ihren Gefühlen leiten lassen können, waren vorbei.
Sorgenvoll blickten sie zu Lilldaye, die nun vorsichtig begann ihr Anliegen zu
unterbreiten.
„Vor einer Woche hat sich Leathan unserem Herrscher
ergeben. Seit einer Woche versuchen wir nun schon, etwas über den Verbleib
von Anthalions Novizin Loodera zu erfahren. Vergebens. Ich wurde endlich vom
Hohepriester Anthalions empfangen, doch er konnte mir nur berichten, was wir
alle schon wussten. Sie ist noch immer in dem
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