Die Quelle
erkannte Sihldan
wie eine leicht zackige, schimmernde Flosse aus dem Wasser ragte. Von weitem
hatte es nur wie ein Lichtspiel im Wasser gewirkt. Zögerlich hob das Wesen
seinen Kopf aus dem Wasser und Sihldan konnte endlich mit eigenen Augen sehen,
was Leathan ihm beschrieben hatte und er nur aus der Ferne als dunkle Gestalt in
der Nacht hatte erblicken dürfen. Wie falsch Leathans Beschreibung war!
Leathan hatte wohl nicht daran gedacht, dass in der Nacht Schwarz die
dominierende Farbe war… Er hatte erzählt, die Bewohner des Meeres
hätten schwarzes Fell, das um den Kopf herum wie eine Mähne aussah.
Nun, das war bei weitem nicht zutreffend! Nur die runden Augen waren schwarz.
Das Fell hingegen schimmerte in allen Farben, als bestünde es aus Wasser,
das alle Facetten des Lichts zu reflektieren vermochte. Das Meer war wahrlich
die Heimat dieser Wesen, sogar die langsamen Bewegungen der sich nähernden
Silhouette wirkten als wären sie Teil des Wellenganges. Kaum tauchte es
wieder unter Wasser, war es nicht mehr zu sehen. Nur wenige Meter vom Ufer
entfernt kam das Wesen zum Stillstand und ließ sich von den Wellen tragen,
während es zu warten schien.
Sihldan entschied sich dafür, das Wesen
anzusprechen, als Zeichen dafür, dass er kommunizieren wollte. Da er
jedoch schon wusste, wie wenig hilfreich es war, ihn in seiner Sprache
anzusprechen, konnte er in Ermangelung an eigener telepathischen
Fähigkeit, nur darauf hoffen, das Wesen würde neugierig genug sein,
um in seine Gedanken zu lesen.
„Sei gegrüßt, Bewohner des Meeres. Möge
Selimka uns dabei helfen, uns gegenseitig zu verstehen.“
Das Gesicht des Wesens verzog sich ein wenig, als es
seinen Mund öffnete, um zu antworten. Die quietschenden, grollenden Laute,
die Sihldan zu hören bekam, waren nicht nur unverständlich, sondern
auch dermaßen unangenehm penetrant, dass er sich die Ohren zuhalten
musste. Wie wenig hilfreich dies war, erfuhr er sogleich… Wie ein Echo hallten
sie über das Wasser, vibrierten um ihn herum, in ihm, in das Meer... Bald
schon erschienen mehr von den Meereswesen… Nur ihre Flossen konnte Sihldan
sehen, als sie das Wasser um ihn aufwirbelten, ihn umkreisten und gemeinsam immer
lauter ihre Schreie durch ihn hindurch hallen ließen. So schnell drehten
sie ihre Runden um ihn, dass das Wasser einen Trichter bildete, in dessen
Zentrum er stand… Würden sie ihn jetzt töten, da er sich
angemaßt hatte, ihr Reich zu betreten? Er konnte kaum noch einen klaren
Gedanken fassen, er spürte, wie Chaos in ihn eindrang, als die Meereswesen
nicht nur seinen Körper umkreisten, sondern auch seine Seele… Ihre Schreie
drangen von unter Wasser über die Oberfläche, laut, betäubend
und alles umfassend… doch plötzlich schien die Zeit still zu stehen, sogar
der Lärm verstummte, während Sihldan verstand. Sie hatten ihn
gerufen, sie hatten ihn zu sich geführt. Die Schreie wandelten sich in
Gedanken und Sihldan dachte mit ihnen, in ihnen… Er war nicht länger nur
Sihldan, Isentiens Sohn, ein Nomade, ein Mensch… Er war eins mit all dem Leben
um ihn herum geworden, er war vieles und nichts eigenes, als habe er keinen
eigenen Willen mehr, sondern war zum Willen aller geworden. Er war mit dem Meer
verschmolzen, mit dem Leben, das es in sich barg. Wirr, chaotisch und doch klar
und harmonisch wie nie zuvor waren seine Gedanken. Unzählige Seelen
begleiteten ihn durch die Fluten… Er spürte sowohl warme als auch kalte
Meeresströme, er sah durch fremde Augen, die zugleich die seinen geworden
waren und durch sie erblickte er die Küste. Vom Meer aus wirkte sie
dunkel, wie eine Festung in der das Böse sich verbarg… Die
lichtschluckende, unbewegliche Dunkelheit des Landes erfüllte ihn mit
Angst. Sihldans Geist regte sich, suchte nach sich selbst und die Furcht vor
dem Land verblasste ein wenig… Er schaffte sich allmählich Platz in dem
kollektiven Wissen der Suhuhlash, Platz genug für ihn, seine eigene
Ängste zu offenbaren, das Schicksal der Menschen zu verdeutlichen, das
Schicksal seines Clans… Bald schon wusste er, würde sein Anliegen
verstanden werden… Bald schon…
Sein Geist wurde frei gelassen, kehrte in seinen
Körper zurück und Sihldan empfand zum ersten Mal in seinem Leben,
tiefe, schmerzvolle Einsamkeit. Noch immer stand er inmitten des Trichters,
noch immer wirbelten schimmernde Flossen das Wasser um ihn herum auf, doch die
Laute waren verklungen und er erinnerte sich… Nein, niemals würden die
Suhuhlash den
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