Die Quelle
Leathan in Schweigen und half den Heilern beim Behandeln der
Verletzten.
Stella saß schon seit Stunden am Ufer des Sees und
richtete ihre Gedanken auf die Ebene der Götter. Während die
Sterblichen ihre Verluste zählten, war der Krieg auf der Göttlichen
Ebene in vollem Gange. Balderia und Iridien sahen sich dank der Hilfe von
Stella im Vorteil. Gemeinsam hatten sie es geschafft, Asildia zu verbannen,
doch jagten sie noch immer Kegalsik, dem es gelungen war, seinen kriegerischen
Geist ihren Angriffen zu entziehen. Trotz ihrer gemeinsamen Anstrengung hatten
sie den Gott noch immer nicht ausfindig machen können. Schließlich
zog sich Stella zurück.
Als sie aus ihrer stundenlangen Trance erwachte, empfand sie
nur noch Leere. So viel Zeit hatte sie auf anderen Ebenen verbracht, dass sie
sich plötzlich hier fehl am Platz fühlte. Diese Welt gehörte den
Menschen, sie war nur noch ein Gast. Sie saß alleine am Ufer des Sees und
betrachtete müde das Wasser. Dessen Oberfläche wurde von kleinen
Wellen gekräuselt, das Symbol ihrer Niederlage, der Beweis, dass die
Quelle den See nicht mehr mit ihrer Energie erfüllte. Zu Stellas
Füßen lag eine Decke, etwas Brot und getrocknetes Fleisch. Sie hatte
nicht gesehen, wer es dorthin gelegt hatte, doch sie war dankbar für die
aufmerksame Geste. Als sie ihren Blick hob, bemerkte sie Sihldan, wie er sie
von weitem beobachtete. Er saß unter eine Plane, die zwischen die
Bäume gehängt worden war. Hinter ihm lag Esseldan. Er war
schweißgebadet, blass und schien dem Fieberwahn verfallen zu sein.
König Leathan und Galtiria knieten bei ihm, beide wirkten verzweifelt.
Galtiria hatte bemerkt, dass Stella aus ihrer Trance
erwacht war und sie warf ihr einen flehenden Blick zu. Stella konnte auch aus
der Distanz erkennen, dass Esseldan ohne magische Heilung seinen Verletzungen
erliegen würde, doch sie wandte sich kopfschüttelnd ab. Sie hatte
sich auf der göttlichen Ebene verausgabt und hatte noch viel zu tun. Sie
konnte nicht helfen.
Sihldan verließ Esseldans Krankenbett, um zu ihr zu
gehen, die alle Stella nannten. Er hatte schon viele Krieger sterben sehen, die
ihm weitaus mehr bedeutet hatten als Esseldan und obwohl er den
Armeeanführer schätzte, ging ihm sein bevorstehender Tod nur bedingt
nahe. Er hatte erfahren, wer Stella in Wirklichkeit war und er konnte es noch
immer kaum fassen. War dieses Wesen tatsächlich sein Freund Leathan? Die
ätherische Silhouette von Stella, die er seit Stunden schon beobachtete,
wirkte fremd. Trotz seiner Unsicherheit wollte er sie ansprechen, er wollte wissen,
ob er noch in ihr seinen Freund finden konnte, er wollte einfach nur wissen, wie
es seinem Freund ging.
„Darf ich mich zu dir setzen?“
„Natürlich, wir sind doch Freunde, oder?“
Sihldan musste lächeln, als er sich hinsetzte. Hatte
er sich verhört, oder hatte er in dieser Stimme, die wie der Wind
über der Prärie klang, doch einen Hauch von Unsicherheit entdeckt?
„Sicher sind wir Freunde. Oder sagen wir eher, Leathan
ist es. Ich schulde ihm schon wieder mein Leben und ich weiß noch nicht,
wie ich diese Schuld bezahlen kann… Wie viel von Leathan ist jetzt noch in
dir?“
Stellas leuchtende Augen tauchten in die von Sihldan ein.
Sie hatte seine Freundschaft sehr vermisst.
„Ich bin nicht nur zum Teil Leathan. Ich bin Leathan, nur
mein Erscheinungsbild hat sich geändert. Diese Gestalt ist der Quelle
näher, denn sie ist ihr entsprungen. Als mein Geist in dir war, um gegen
Anthalion zu kämpfen, hatte ich schon diese Gestalt. Du hast mich dennoch
erkannt.“
Sihldan senkte den Blick. Es war nicht leicht, in ihr
Leathan zu sehen, doch mit seinem Freund wollte er nun sprechen, ohne sich von
diesem Erscheinungsbild stören zu lassen. Er lenkte sich ab, indem er zu
Esseldan sah, der noch immer gegen den Tod kämpfte.
„Sie erwarten von dir, dass du ihn heilst. Kannst du
das?“
Stellas Stimme war kaum noch zu hören. Sihldan
konnte jedoch nicht deuten, ob es an Stellas Trauer oder an ihrer
Müdigkeit lag. „Der Kampf mit den Göttern war anstrengend. Ohne den
See der Quelle ist es schwer wieder neue Energie in sich zu sammeln.“
Sihldan verstand nichts von Magie, doch alle waren sich
bisher einig gewesen: Ohne See der Quelle, gab es keine Magie.
„Kannst du ohne den See überhaupt wieder zu neuer
Macht kommen?“
Stella stand auf, sie streckte sich, um ihren Körper
nach der langen Reglosigkeit wieder in Gang zu setzen. Sie hoffte, sich
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