Die Quelle
Ruvins Erscheinen unterbrochen.
Er sah wie sich der junge Krieger mit strahlendem Gesicht
näherte und er begrüßte ihn herzlich. Er hätte es kaum
für möglich gehalten, doch Leathan freute sich, Ruvin wieder zu
treffen. Ihm bekannte Gesichter gab es hier nur wenige und trotz seiner
anfänglichen Schwierigkeiten mit Ruvin, mochte er ihn. Esseldan schickte
sie beide mit einem fast amüsierten Lächeln auf das
Trainingsgelände.
„Schade, dass ich dir nichts selbst beibringen kann, aber
die Heiler würden es mir wohl kaum verzeihen.“
Leathan lächelte, als er feststellen musste, dass
auch in dieser Welt Ärzte eine unbestrittene Autorität hatten, der
man dennoch nur ungern Folge leistete. Esseldan zog sich in den Schatten des
Vordaches der Stallung zurück und setzte sich auf eine Bank, während
Ruvin mit Leathan zu zwei menschengroßen Strohpuppen ging, an denen er sogleich
die Grundbewegungen demonstrierte.
Leathan hätte gerne etwas über Looderas
Verbleib erfahren, doch das einzige, das er in Ruvins Geist entdecken konnte,
war, dass auch er nichts Neues wusste. Seine Aufgabe als Lehrmeister schien
Ruvin ernst zu nehmen, denn er machte sich bereits Gedanken darüber,
welche Bewegungsabläufe er als erstes vermitteln wollte.
„Ich mache jetzt einige Übungen an der Puppe. Lies
bitte meine Gedanken, präge dir mein Körpergefühl bei jeder
Bewegung ein, fühle mit mir. Bist du bereit?“ Die Ernsthaftigkeit Ruvins
war ansteckend und Leathan konzentrierte sich, während er in die Gedanken
des jungen Kriegers trat.
„Ich bin bereit.“, bestätigte er knapp und Ruvin hob
erneut seine Waffe.
Als er das Holzschwert in einem Scheinangriff auf die
Puppe niederschlagen ließ, konnte Leathan nicht nur die Wucht des
Schlages in seinen Armen spüren. Er merkte auch genau die Schrittfolge und
die Körperhaltung, als habe er selbst den Schlag ausgeführt. Ruvin
wiederholte denselben Schlag. Fasziniert von diesem neuen
Körpergefühl schloss Leathan seine Augen und drang tiefer in den
Geist Ruvins ein. Er sah durch seine Augen, er fühlte jeden Schritt und
bald schon wusste er, er hätte ihn selbst ausführen können, als
sei er Teil seiner eigenen Erinnerungen geworden. Was sich anfangs für
Leathan befremdend angefühlt hatte, entpuppte sich als die beste
Lernmethode, die er sich vorstellen konnte.
Als Leathan schweißgebadet die erste Trainingsrunde
hinter sich gebracht hatte, konnte er mit dem Schwert zumindest so gut umgehen,
dass er keine Gefahr mehr für sich selbst darstellte. Er durfte nun die
Übungen mit einem echten Schwert vollführen, wenn auch eines mit
abgestumpfter Klinge. Es würde ihm erlauben, ein Gefühl für die
Beschaffenheit und das Gewicht der Waffe zu erlangen. Das Training bewirkte,
dass Leathan sich immer wohler in seinem Körper fühlte. Die
erstaunliche, beherrschte Kraft, zu der sein Körper fähig war,
faszinierte ihn gleichermaßen wie die Ausdauer, die er an den Tag legte.
Ständig in den Gedanken von Ruvin die Bewegungen einzustudieren half ihm
dabei, seine Gedanken auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. Er wurde eins mit
seiner Umgebung, seinem Körper, doch auch mit seinem Meister, der im Kampf
jede Spur der Sanftheit ablegte, die er am Vortag gezeigt hatte.
Ruvin wandte sich schließlich an ihn.
„Ich kann deine Gedanken noch immer nicht lesen, also
werde ich einfach davon ausgehen, dass du für die nächste Stufe
bereit bist. Du bewegst dich ohnehin nicht wie ein Anfänger. Dein
Körper erinnert sich wohl daran, was es zu tun gilt…“
Ruvin lächelte voller Vorfreude, als er Esseldan
telepathisch rief. Dass der Armeeanführer diesen Teil der Übungen von
Nahem beiwohnen wollte, stimmte Leathan neugierig, doch sein junger Lehrmeister
versperrte ihm plötzlich den Zugang zu seinen Gedanken, als wollte er ihn
mit irgendetwas überraschen.
Esseldan stellte sich zusammen mit dem Waffenmeister neben
Ruvin und Leathan. Die Anwesenheit der beiden entfachte die Neugierde der
meisten Krieger, die ihre eigenen Übungen abbrachen, um zu beobachten, was
gleich geschehen sollte. Ruvin und Leathan hatten jetzt eine
dreißigköpfige Zuschauerschar und Leathans eigene Neugierde wuchs im
selben Ausmaß wie sein Unbehagen.
Ruvin öffnete schließlich wieder seine
Gedanken und forderte Leathan dazu auf, sie zu lesen.
„Jetzt pass genau auf, folge meinen Gedanken.“
Ruvin konzentrierte sich… Leathan spürte, wie der
junge Krieger ruhig wurde… Seine Gedanken kehrten in sich, sein
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