Die Quelle
Mehana, obwohl er nicht wirklich vorhatte, mit Gewalt in Alientas Gedanken
einzudringen. Er wollte sich nur mit dem alten Regenten unterhalten und der beste
Weg, um diese Gelegenheit derzeit zu bekommen, war zuzusagen.
Als die Ratsmitglieder einer nach dem anderen aus dem
Gebäude herauskamen, entdeckte Leathan unter ihnen Esseldan, der ihm
ermutigend zunickte. Leathan erkannte, dass es Esseldans Idee gewesen war, ihn
um Hilfe zu bitten. Er hätte sich noch gerne mit dem Armeeanführer
darüber unterhalten, doch Mehana löste sich bereits aus der Gruppe,
gesellte sich zu Leathan, um ihn fort von dem paradiesischen Garten zu
führen, zurück zu den Straßen von Ker-Deijas, in Richtung der
Kerker.
Zweifel plagten Leathan. Es widerstrebte ihm genauso,
Esseldans und Mehanas Vertrauen zu missbrauchen, wie Alientas Geist zu
bezwingen.
Mehana verlor keine Zeit, sie erläuterte die
Prozedur noch während sie auf dem Weg zu den Kerkern waren. Schwer schien
es nicht zu sein. Es war dabei nicht erforderlich, viel Macht aufzurufen. So
leicht Leathan es geschafft hatte, Looderas Gedanken zu blockieren, so leicht
wäre es gewesen, die Barriere in Alientas Gehirn zu durchbrechen. Leathans
geistige Kräfte waren angeblich so mächtig, dass er kaum auf
Gegenwehr stoßen würde. Was er wollte, war jedoch etwas ganz
anderes.
*
Zum ersten Mal betrat Leathan den Keller und die Kerker
unter dem großen Saal, in dem die Gefangenen eingesperrt worden waren.
Hier gab es im Gegensatz zu allen anderen Räumlichkeiten der Stadt schwere
Holztüren, die mit Blei gefüllt und mit metallenen Beschlägen
verstärkt worden waren. Eine leichte bläuliche Aura verriet, dass
auch Magie die Kerker verstärkte. Das Ganze erinnerte an mittelalterliche
Kerkertüren.
Leathan fröstelte.
Der Gedanke an Folter verfolgte ihn und fast erwartete er
es, schmerzerfüllte Schreie zu hören. Mehana hatte gesagt, dass nur
die Feinde Folter nutzten, dennoch spürte er, wie kalter Schweiß seinen
Rücken hinunter perlte. Fast hatte er das Gefühl, seine eigenen
Schreie zu hören, seine eigene Stimme, die drohte unter der Folter zu
versagen.
Mehana sah ihn an, sein Unbehagen war nicht zu
übersehen.
„Was ist los? Wenn du Angst hast, Alienta alleine zu
begegnen, komme ich gerne mit.“
Leathan versuchte seine Gedanken zu klären. Waren
seine wirren Gedanken aus der Angst geboren oder hatte er gerade eine Vision
gehabt? Er schluckte und versuchte das Gesehene zu verdrängen.
„Nein, ich habe keine Angst vor Alienta. Ist Loodera auch
hier irgendwo?“
Mehana nickte.
„Sie schläft jetzt sicher. Wenn du es möchtest,
kannst du später mit ihr sprechen. Mach dir keine Sorgen um sie. Wir
werden ihr nichts tun, auch wenn sie sich wirklich für die Verbannung
entscheidet. Wir versuchen derzeit nur, sie noch umzustimmen. Wir könnten
es schaffen, wenn du den Schutz ihrer Gedanken aufhebst, aber das möchte
sie nicht mehr.“
Es war nicht schwer, Loodera zu verstehen. Der Gedanke,
dass Gehirnwäsche auch mit Folter zu tun hatte, ließ ihn nicht mehr
los.
Wer hatte eigentlich mit diesem leidigen Thema
angefangen?
Mehana dachte, Alienta habe die Gedanken seiner
Schüler verpestet, doch war die gesamte Lebensweise des Volkes der
Wächter nicht auf Gehirnwäsche aufgebaut? So perfekt diese
Gesellschaft im ersten Augenblick wirkte, verleugnete sie alles Menschliche und
Loodera wollte dies nicht länger zulassen.
Es blieb jedoch keine Zeit, um länger darüber
nachzudenken und während Leathans Gedanken sich noch im Kreis drehten, sperrte
Mehana die schwere Holztür zu Alientas Kerker auf und ließ Leathan
eintreten.
*
Der Raum war klein, wie es Gefängniszellen
anscheinend in allen Welten waren. Darin befanden sich nichts als Decken, die
auf dem Boden verteilt waren und zwei Fackeln, die den Raum ein wenig
verqualmten und dabei nur spärliches Licht spendeten. Da Magie hier jedoch
nur eingeschränkt möglich war, gab es kaum die Möglichkeit,
einen Kristall zum Leuchten zu bringen, so wurde es durch altmodisches Feuer
ersetzt.
Es war Leathans erste Begegnung mit dem ehemaligen
Regenten und er entsprach genau seinen Erwartungen: ein sechzig-oder
siebzigjähriger Mann, der den gütigen Gesichtsausdruck der Heiler
aufwies. Wäre es anders gewesen, hätte er wohl kaum über so
viele Jahre jeden täuschen können.
Mehana verschloss die Tür und Leathan blieb alleine
mit Alienta in dem Kerker zurück.
Beide setzten sich im Schneidersitz hin und musterten
sich stumm.
Weitere Kostenlose Bücher