Die Quellen Des Bösen
wirkte, ohne dass er das vertraute und geliebte Kribbeln verspürte. Der Wunsch, stärker und mehr davon anzuwenden, ging ihm völlig ab. Dafür drehten sich für einen Moment die Wände um ihn herum.
Ist es das, was Vintera meinte? Fertigkeiten, die mir vorher nicht gelingen wollten? Lodriks Verwirrung wich Unsicherheit. Was von alledem, was er im Wald erlebt hatte, entsprach der Wirklichkeit, was entsprang seiner Einbildung?
Kann ein Mensch aus dem Jenseits zurückkehren, oder waren es nur Hirngespinste, Trugbilder meines Verstandes als Folgen von Govans Angriffen?
Nach wie vor erinnerte er sich sehr genau daran, wie sein Sohn ihn attackiert hatte. Aber die Zeit danach gestaltete sich als ein ungelöstes Rätsel, erschien wie ein verschwommener Traum.
Wenn er sich zu erinnern versuchte, sah er Berge, die mit ihm zusammen in die staubige Tiefe stürzten. Riesige Felsbrocken rasten rechts und links an ihm vorüber, waren rund um ihn herum und begruben ihn unter sich. Die scharfen Kanten ritzten seine Haut, türkises Schimmern umhüllte seinen Körper.
Ihm fiel der zerquetschte Leib einer seiner Leibwächter ein, dessen Blut ihn von oben bis unten tränkte, und auch das Gespräch mit seinem verstorbenen Vater und seinem alten Lehrer aus Granburg, Miklanowo.
Die schützenden Wände des Hohlraumes, der sich inmitten des granitenen Chaos auf wundersame Weise um ihn herum gebildet hatte, entstanden vor seinem geistigen Auge, er sah sich hinauskriechen und sich in der Umgebung verbergen, wohl wissend, was ihm bei seiner Entdeckung durch Govan blühte.
Sollte mich meine Magie vor Vinteras schwarzer Sichel bewahrt haben? Ein Satz, den Ulldraels Schwester von sich gegeben hatte, kam ihm in den Sinn. Ich soll seit langen Jahren wieder der Erste gewesen sein, der ihr entging, dachte er nach. Mehr und mehr gab sein Gedächtnis Wissen frei, das er vor langer Zeit scheinbar sinnlos studiert hatte. Nekromanten!, durchzuckte es ihn, als er sich der Passagen des Buches entsann, das ihm Mortva einst zum Studieren an die Hand gegeben hatte und an deren Umsetzung er sich als Jugendlicher verzweifelt und vor allem vergeblich versucht hatte.
Seine Finger schlossen sich um den Beutel, in dem er das hüllenlose Schwert aufbewahrte, und zogen die Waffe heraus. Ein Seelenfresser, der seine Last mir nicht offenbaren wollte. Sachte tippte er gegen die Klinge, ein schwaches Geräusch ertönte. »Vielleicht bist du nun dazu bereit.«
Die Kuppen fuhren über die Bannsprüche, die eingravierten Symbole, die einst den Henker vor den Rachegeistern seiner Opfer bewahren sollten.
Der einstige Kabcar hatte sich um die Hinrichtungsinstrumente und deren Beschaffenheiten nicht gekümmert.
Nun fragte er sich, ob alle Schwerter und Säbel, die Scharfrichter benutzten, Auffälligkeiten in solcher Pracht aufwiesen oder ob er, ohne es zu ahnen, dem Henker aus Granburg etwas ganz Besonderes abgenommen hatte.
Lodrik raffte sich auf, packte die Waffe weg und wanderte ziellos durch die Stadt.
Sora hatte er niemals besucht, dafür war seine Amtszeit zu aufregend und ereignisreich gewesen. Die Häuser und größeren Gebäude glichen architektonisch denen der Hauptstadt, ohne dabei den verschwenderischen Prunk aufzuweisen. Als er am Gouverneurspalast vorbeikam und die Baugerüste entdeckte, blieb er stehen und starrte mit offenem Mund auf die Veränderungen an der Fassade.
Steinmetzen schlugen die alten Ulldrael-Symbole aus den Felsquadern, an anderer Stelle hievten mehrere Arbeiter Tzulan-Figuren nach oben, und über dem Eingangsportal prangte der Spruch »Der Gebrannte schütze deine Wege«, darunter »Lang lebe Govan Bardri¢«. Was Lodrik begonnen hatte, vollendete sein ältester Sohn eindeutig mit aller Konsequenz.
Ein schneller Abstecher zum Ulldrael-Heiligtum zeigte ihm, dass er mit seiner düsteren Einschätzung Recht behielt. Der Tempel war geschlossen worden, weitere Handwerker trugen das Gebäude Stein für Stein ab, karrten das so einfach gewonnene Material zur Residenz des Statthalters.
Die Tore verschlossen hielt auch die angesehene Universität Soras, angeblich aus Mangel an Gelehrten.
Neben dem Seiteneingang stand stattdessen das Schild »Werberstube«, davor warteten drei junge Burschen geduldig, eingelassen zu werden. Anhand ihrer Kleidung erkannte er in ihnen ehemalige Studiosi, die das Buch gegen die Waffe tauschen wollten.
Ein Gefühl brachte den ehemaligen Herrscher des Landes dazu, sich in ihre Richtung zu bewegen, um sie zu
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