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Die Rache der Engel

Die Rache der Engel

Titel: Die Rache der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Sierra
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flimmerte– und das tat sie bei jedem Atemzug der Alten–, schickte sie lustige goldene Funken in die Luft.
    Ich machte vor Verblüffung große Augen.
    » Sie…«, meinte ich. » Sie sind…?«
    Die alte Frau brachte mich zum Schweigen, indem sie einen ihrer knochigen Finger an meinen Mund führte, und lächelte.
    Zwei Tage später erfuhr ich, dass sie gestorben war. An jenem Tag bekam ich Angst vor meiner verfluchten Gabe.

98
    Null Minuten. Null Sekunden.
    Absolute Stille bemächtigte sich der Eishöhle. Sogar William Fabers keuchender Atem hallte nicht mehr durch das Gewölbe, über dem sich Jenkins und Allen versteckten. Der Berater des Präsidenten war so sehr in die besänftigende Schönheit versunken, die Julia Álvarez ausstrahlte, dass er einige Augenblicke brauchte, bis er das Ende des Countdowns bemerkte. Dort lag sie, mit dem Kopf voller Elektroden, an ein kleines Kissen gelehnt, die Liege fast senkrecht gestellt, und ruhte sanft hingegeben. Sie sah wie eine Märchenprinzessin aus, die auf den Kuss des Märchenprinzen wartet, der sie wieder zum Leben erweckt. Jenkins fragte sich, woran sie in diesem Augenblick wohl dachte. Wovon sie gerade träumte.
    Aber die Spanierin öffnete die Augen nicht, als der Zähler sich auf null stellte. Tatsächlich schien dies auch keiner der Umstehenden zu erwarten, nicht einmal Ellen Watson, die immer noch sprachlos die Arche anstarrte. Alle warteten darauf, dass Julias flüchtige Gabe diesen geheimnisvollen Kommunikationsmechanismus aktivierte, bei dem die Steine, die sie fest umklammert hielt, eine wesentliche Rolle spielen sollten.
    » Gut, meine Herrschaften, es ist so weit«, verkündete William Faber, die allgemeine Stille durchbrechend. » Der Plasmaregen durchdringt in diesem Augenblick die Ionosphäre. Jetzt werden wir erfahren, ob diese starke Energie ihre Arbeit tun wird oder nicht. Es ist nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie eintrifft, und…«
    Ein starkes Knistern unterbrach ihn. Es kam aus der Nähe des Dieselgenerators, so als würde etwas brennen. Artemi Dujok drehte sich in diese Richtung, entdeckte aber nichts Außergewöhnliches. Seine Männer, mit ihren Uzi-Maschinenpistolen bewaffnet, zielten ebenfalls in die Richtung und hielten erfolglos nach einem Eindringling Ausschau. Die Idee, jemand könne ihnen bis hierher gefolgt sein, war einfach zu absurd. Bevor sie sich aber wieder Julia zuwenden konnten, fiel wenige Schritte von ihnen entfernt ein gleißend blauer elektrischer Lichtbogen vom Himmel. Und noch einer. Und noch einer. In Sekunden schoss eine ganze Lawine davon zu Boden, wie Schweißfunken.
    » Was ist das?«, fragte Ellen erschrocken.
    Keiner der Engel reagierte.
    Das Seltsame an diesen Funken war, dass sie bei der Berührung mit dem Eis nicht schmolzen. Mehrere von ihnen krochen, von dem Medium auf der Pritsche angezogen, über den Boden. Wie flache Nudeln, zu Dolden gebündelt. Jetzt waren sie weiß und glänzten hell. Vor allem aber schien ihre Bewegung einem Plan zu folgen. Einer Art Intelligenz. Martin trat bei ihrem Anblick einen Schritt zurück. Haci und Waasfi taten es ihm nach.
    Diese » Spinnen«, denn so sahen sie im Endeffekt aus, erreichten Julias Helm und teilten sich in drei Haufen auf. Jeder Haufen entwickelte sich wiederum zu einem neuen Funkenknäuel, und bald bedeckten diese den gesamten Körper der Frau. Am dichtesten umgaben sie deren Fäuste– die Adamanten zogen jenen Strom wie Magnete an. Julia schüttelte sich unbewusst einmal, zweimal, dreimal… sechsmal, bevor sie sich wieder fest an die Liege drückte. Sie zog an den Gurten, presste sie ganz fest an ihre Brust und fiel danach, starr wie eine Leiche, auf die dünne Matratze zurück.
    » Was ist das?«, kreischte Ellen hysterisch. » Was ist das?«
    Aber diesmal hörte man ihre Stimme kaum.
    Nun begannen die Lautsprecher, die sich genau der Gruppe gegenüber befanden, etwas auszusenden. Es war wie ein scharfes, kaum wahrnehmbares Pfeifen, das vielleicht schon eine ganze Weile in der Luft hing, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Dann, während die funkelnden » Spinnen« sich vermehrten und überallhin ausbreiteten und die elektronischen Geräte flackerten und erste Anzeichen von Überlastung anzeigten, verwandelte sich jenes Pfeifen in ein kontinuierliches Brummen. Gleichzeitig entströmte dem heiligen Tisch, den die Gruppe vor sich hatte und den Sheila und Daniel unentwegt bewachten, eine grünliche Rauchsäule, die zur Decke aufstieg. Einen Augenblick

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