Die Rache der Flußgoetter
nicht, wie? Ich habe noch nie von einem Verbrecher gehört, der wollte, daß man ihm den Prozeß macht. Ich werde gerichtlich gegen alle vorgehen, die Gesetzeübertreten haben, deren Befolgung der Aufsicht meiner Behörde unterliegt, egal, wie hochgestellt diese Persönlichkeiten auch sein mögen. Und für jeden Klienten in der Bauwirtschaft hast du einhundert, die in einer dieser
insulae leben, die mit solch alarmierender Häufigkeit einstürzen.«
»Hast du dich schon mit deiner Familie beraten?« fragte er.
»Noch nicht. Was soll das heißen?«
»Besprich die Sache mit dem alten Stumpfnase und mit Scipio und Nepos. Vielleicht raten sie dir zur Vorsicht.«
Das ergab keinen Sinn. »Gestern wollte Scipio diesen Fall noch seinem Sohn als Ankläger zuschanzen.«
»Finde heraus, ob er das heute immer noch so sieht.«
Er machte mich regelrecht wütend, doch gleichzeitig spürte ich einen eiskalten Schauder vom Haaransatz bis zu den Zehen.
»Titus, was ist eigentlich los?«
»Wie du vielleicht bemerkt hast, ist die politische Lage im Fluß.«
»Ich hätte sie wahrscheinlich als chaotisch bezeichnet, aber ›im Fluß‹ ist vermutlich eine sachgemäße Untertreibung. Was ist damit?« Er spreizte seine kräftigen Pranken. »Was genau hält das System eigentlich funktionstüchtig, wo uns doch die Institution der Monarchie fehlt?« »Wir haben unsere uralten Bräuche«, sagte ich, »unsere republikanische Tradition, den Respekt der Bürgerschaft vor den Ämtern des Staates …« Es war eine gute Frage. Was genau hielt das Ganze wirklich am Laufen? »Und ich nehme an, von Zeit zu Zeit helfen die Götter aus.«
Er nickte ernst. »Mit anderen Worten, wir haben nichts, worauf wir uns wirklich verlassen können.«
»Es funktioniert zugegebenermaßen nicht besonders gut, aber es funktioniert irgendwie. Was willst du denn, eine Rückkehr zu den Königen?«
»Ich nicht. In einer Monarchie hätte ein Mann von meiner Geburt wenig Möglichkeiten aufzusteigen. Aber so leicht ist das hier auch nicht. Sieh mal, Decius, seit Jahrhunderten rekrutiert der Senat seine Mitglieder aus einigen wenigen Familien, Familien wie deiner. Ihr seid der Landadel. Natürlich kann jeder Bürger für ein Amt kandidieren, aber für die meisten Leute wäre das wenig sinnvoll.«
»Natürlich«, gab ich zu und fragte mich, worauf er hinauswollte.
»Öffentliche Ämter sind berüchtigt für ihre Kosten. Wir verbringen Jahre unseres Lebens im Staatsdienst und werden dafür nicht bezahlt. Im Gegenteil. Nur auf einem propraetorianischen und prokonsularischen Posten bekommen wir die Gelegenheit, uns auch einmal zu bereichern. Und von zehn Senatoren bringt es vielleicht einer zum Praetor. Und selbst dann sind die Reichtümer nicht garantiert, es sei denn, man wird Statthalter einer reichen Provinz oder erhält den Oberbefehl bei einem profitablen Feldzug. Und den muß man auch erst einmal erfolgreich beenden. Es ist tö-richt, ein Amt anzustreben, wenn man nicht von Hause aus wohlhabend ist.«
Natürlich gab es auch Ausnahmen von dieser Regel. Gaius Marius hatte als junger Mann mit Eifer als Legionär gedient und war so populär geworden, daß er die Gunst wohlhabender Männer auf sich gezogen hatte. Als er daran ging, für höhere Ämter zu kandidieren, standen Geld und Wählerstimmen für ihn bereit. Cicero, der aus demselben unbekannten Nest stammte wie Marius, hatte sich als Anwalt einen einzigartigen Ruf erworben. Natürlich durfte ein Anwalt dem Gesetz nach keine Honorare annehmen, aber seine dankbaren Mandanten konnten ihn zu den Saturnalien stets mit kostbaren Geschenken überhäufen. Und die Tatsache, daß die Provinzen sich dankbar an seine ehrliche Verwaltung erinnerten, schadete ihm gewiß auch nicht, sondern bescherte ihm eine florierende Kanzlei. Doch trotz dieser Ausnahmen galt die allgemeine Regel, daß es nutzlos war, ohne die Mittel einer wohlhabenden Familie im Hintergrund ein Amt anzustreben. Deshalb wimmelte es im Senat auch von
equites , die bereit waren, das lästige, aber vergleichsweise billige Amt eines Quaestors zu bekleiden, um anschließend Mitglied des Senats zu werden und an seinem Ansehen teilzuhaben. Das war laut der Verfassung, die Sulla uns gegeben hatte, die Mindestvoraussetzung für die Aufnahme in diese erhabene Körperschaft. »Der Zusammenhang mit einstürzenden Neubauten ist mir nach wie vor unersichtlich.«
»Es gab eine Zeit, in der nur Patrizier Senatoren werden konnten. Dieses Privileg haben sie schon
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