Die Rache der Flußgoetter
und das Wetter erbärmlich war, hätten es genauso gut die Saturnalien sein können. Der Drang zu den höher gelegenen Plätzen war in vollem Gange, obgleich keine Panik entstand - da es noch ganz anderes als eine simple Flut braucht, um Römer in Panik zu versetzen. Selbst ein vorrückender Feind macht sie bestenfalls ein wenig nervös. Ein Großbrand oder ein Erdbeben kann sie vollkommen aus der Fassung bringen, aber sonst kaum etwas. Hin und wieder proben sie aus schierer Wut den Aufstand. Zumindest haben sie das früher getan, bevor der Erste Bürger alles gezähmt hat. Doch diesmal herrschte eine seltsame, fast feiertägliche Stimmung unter der entwurzelten Bevölkerung. Welche Schäden und Verheerungen auch drohen mochten, es war eine Abwechslung von der üblichen Alltagsroutine, und das macht die Menschen leichtfertig. Die Männer wußten, daß sie morgen nicht zur Arbeit gehen mußten, wenn sie überhaupt welche hatten. Ihre Frauen wußten, daß sie morgen nicht den langen Weg zum Brunnen laufen, Wasser holen und den schweren Krug dann die steilen Treppen der
Insula hochschleppen mußten. Und die Kinder wußten, daß sie am nächsten Tag keinen Schulmeister ertragen mußten.
Vielleicht hatten sie, wenn sie heim kehrten, kein Zuhause mehr, aber darüber konnte man sich später noch genug Sorgen machen. Für den Augenblick taten sie einfach nur etwas anderes als sonst, trafen Freunde und Verwandte, die sie eine Weile nicht gesehen hatten, teilten vielleicht ein paar Tage lang einen Garten oder ein Dach mit Fremden. Man würde spielen und sich Geschichten erzählen, um die Zeit tot zu schlagen. Vielleicht würden die Männer zu Arbeitsgruppen eingezogen werden, die Schaden eindämmen oder Schutt abtransportieren mußten. Aber es war eine Abwechslung in ihrem ansonsten öden Leben. Das beste an einer Flut war, daß sie, im Gegensatz zu einem Feuer oder Erdbeben, nur wenige Menschen sofort das Leben kostete. Es ist nicht schwer, einem Hochwasser auszuweichen.
Todesopfer würden sich erst später einstellen, durch Unterkühlung, Krankheit oder verseuchtes Wasser, was zur Zeit meine größte Sorge war. Die verstopften und vollgelaufenen Abflüsse würden den Dreck in der ganzen Stadt verbreiten.
Jeder, der je eine Belagerung mit gemacht hat, weiß, daß in Schmutz und Unrat Seuchen gedeihen. Sei es, weil, wie manche glauben, Übelriechendes von bösen Geistern bewohnt wird, sei es, weil Unreinlichkeiten die Götter erzürnt, oder aus einem anderen Grund ohne jeden Bezug zum Übernatürlichen - es ist jedenfalls unvermeidbar. Es war nur gerecht, daßdie Menschen sich amüsierten, dachte ich, weil viele von ihnen in den kommenden Wochen und Monaten sterben würden.
Als wir das Forum überquerten, wurde die Menschenmenge kleiner. Das Forum war, wie erwähnt, früher ein Sumpf gewesen, und ich bemerkte schon von weitem, daß aus den Gullis schmutzig braunes Wasser quoll und ein übler Gestank über dem prachtvollen Platz hing. Ich fragte mich im Vorüber gehen, was wohl aus dem alten Charon und seinem Boot geworden war. Er hatte bestimmt einen Zufluchtsort, dachte ich. In seinen langen Jahren in den unterirdischen Gefilden der Stadt mußte er schon manche Flut überstanden haben.
Der Viehmarkt und die Gegend um den Circus Maximus waren schon entschieden feucht, und ich war froh, als ich die Uferböschung erklimmen und die Pons Sublicius betreten konnte, die auch bei einem Hochwasser nicht überschwemmt werden würde. Die Brücke war von Gaffern gesäumt, die den Fortgang von Vater Tibers Raubzug beobachteten und gewichtig kommentierten.
Die ganze Szenerie hatte etwas Irreales, und das lag nicht nur an der unangemessenen festlichen Stimmung meiner Mitbürger.
Ich schrieb es der Kombination aus steigendem Wasserpegel, klarem Himmel und dem für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Wetter zu. Wir assoziieren eine Flut immer mit starkem Regen. Es war nur schwer vorstellbar, daß all das das Ergebnis eines warmen Windes aus Afrika und der Schneeschmelze im weit entfernten Gebirge war.
»Wenn wir den Fluß überqueren«, sagte Hermes ängstlich, »können wir vielleicht tagelang nicht in die Stadt zurück kehren.«
»Das Labyrinth liegt im Trans-Tiber-Distrikt, und dort müssen wir nichtsdestoweniger hin«, versicherte ich ihm.
»Mach dir keine Sorgen. Die Brücke wird über Wasser bleiben. Wenn der Fluß sein künstliches Bett verläßt, bleibt das Wasser in den tiefer gelegenen Gebieten zwar stehen, an manchen
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