Die Rache der Flußgoetter
pünktlich, und wenn deine Kollegen meinen, ich sollte ihnen ein wenig mehr geben, fange ich deswegen keinen Streit an.« Sie sah mich trotzig an. Offenbar hatte sie eine falsche Vorstellung davon, warum ich gekommen war.
»Nach allem, was ich höre, geht es hier nicht immer so friedlich zu«, entgegnete ich.
Sie schien überrascht. »Aber ich sagte doch gerade - oh, vor einer Weile gab es hier einen Mord, aber das war lediglich ein Mord in den sechs Jahren, seit ich im Geschäft bin. Ansonsten hatten wir schlimmstenfalls mal eine blutige Nase oder ein blaues Auge, vielleicht auch eine eingeschlagene Glatze, wenn einer der Jungs etwas rauh zugepackt hat, aber nichts Schlimmeres.«
»Es gab zahlreiche Senatorenvillen, die sich nicht eines so sauberen Rufes rühmen können«, versicherte ich ihr, »aber es ist eben jener eine Mord, der mich hierher führt. Ein Ädile namens -«
Sie hob die Hand und gebot mir zu schweigen. »Nein! Ein Privatmann namens Aulus Lucilius wurde in diesen Räumen tot aufgefunden. Wenn erzuvor Ädile war, hat das nichts zu bedeuten, weil er nicht mehr im Amt war, und das weißt du ganz genau.«
»Da magst du recht haben. Wie dem auch sei, ich möchte etwas über die Umstände hören, die den Tod dieses Herren begleitet haben. Sei so gut, und kläre mich auf.«
»Aber ein Vertreter despraetor Urbanus hat mich schon vor geraumer Zeit in dieser Sache befragt«, protestierte Andromeda.
»Warum liest du nicht einfach seinen Bericht.« »Ich traue den Berichten anderer Leute nicht«, erklärte ich ihr.
»Zunächst einmal stellen sie nicht die richtigen Fragen, und dann machen sie noch Fehler bei der Aufzeichnung der Antworten. Anschließend wird der Bericht dann häufig genug falsch abgelegt oder zerstört oder geht ganz verloren. Warum erzählst du mir also nicht einfach, was passiert ist?«
Sie lächelte und blinzelte mir mit ihren vergoldeten Augenlidern zu. »In deinem Geschäft geht es offenbar sehr viel ungeordnet er zu als in meinem, Ädile. Nun denn, am Tag der Tat kam Lucilius kurz nach Sonnenuntergang zu uns. Es war bereits dunkel, und die Lampen brannten, genau wie jetzt. Er hatte seine Toga über den Kopf gezogen, aber ich erkannte ihn aus dem Vorjahr, als er mein Lokal zweimal inspiziert hatte.« »Als Freier ist er nie hier gewesen?« wollte ich wissen.
»Meines Wissens nicht, aber sieh dich um. An einem ruhigen Abend haben wir Hunderte von Gästen, an den großen Feiertagen tausend oder mehr. Ich versuche jedem von ihnen ein wenig persönliche Aufmerksamkeit zu widmen, aber das ist völlig aussichtslos. Die jenigen, die ich vom Sehen kenne, sind Stammgäste.«
»Ich verstehe. Bitte sprich weiter.«
»Nun, ein Mädchen namens Galatea empfing ihn an der Tür und führte ihn zu dem Tisch dort drüben in der Ecke«, sagte sie und wies auf den Tisch gegenüber von unserem. »Dort wurde er von einem Mann mit einem Kapuzenumhang erwartet.«
»Ist es üblich, daß deine Kunden ihre Identität mit Togen und Umhängen verbergen?« warf ich ein. »Das hätte doch deinen Verdacht wecken müssen.«
»Wohl kaum. Bedenke, daß das Ganze zwischen den Nonen und den Iden des Dezember geschah. Jedermann war ziemlich eingepackt, weil es einer der kältesten Winter seit Menschengedenken war. Ich weiß noch, daß Galatea ein Wollkleid trug. Bis zum Frühling laufen die Mädchen normalerweise nicht nackt herum. In den letzten paar Nächten haben sie ihre Kleider nur abgelegt, weil der afrikanische Wind die Luft so erwärmt hat.«
»Nun gut, das Mädchen Galatea führte Lucilius also an den Tisch des Mannes mit dem Umhang. Was geschah dann?« Wie in einer Vision erschien auf der Bühne in der Mitte des Hofes - unter einem riesigen Kande-laber in Form einer Hydra mit zahllosen Kerzen auf jedem ihrer vielen Köpfe plötzlich eine Gruppe iberischer Tänzerinnen und begann den berühmten Tanz von Gades vorzuführen, begleitet von wilder Flötenmusik und dem Rhythmus der kleinen hölzernen Klappern, die sie in der Hand hielten. Wie die meisten Bewohner von Gades waren diese Frauen von griechischphoenizischer Herkunft und verbanden die aufreizendsten Eigenschaften beider Nationen.
Die Mädchen aus den Tänzerfamilien wurden von Geburt an dazu erzogen, in der Öffentlichkeit aufzutreten, und ihre Tänze waren die weltweit schlüpfrigsten ihren Art. Tatsächlich zelebrierten sie auch heilige Tänze mit perfektem Anstand, aber selbstredend nicht im Labyrinth . Jede der Frauen war nicht nur eine
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