Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
sich hinter einigen Schilfbüscheln und füllte ihre Kalebasse. Das Wasser war klar und kalt und nicht sehr tief. Auf dem Grund lagen glatt geschliffene Kiesel. Adela hockte sich auf einen Felsbrocken am Ufer. Dem Spiel der kleinen Wellen zuzusehen, tat ihr gut und ließ sie ruhiger werden.
Erneut bewegte sich das Kind in ihr. Ich werde es behalten , dachte sie. Denn ich würde es mir niemals verzeihen, wenn es doch Francis’ und mein Kind wäre. Außerdem waren Abtreibungen nicht ungefährlich, und sie musste um Luces willen am Leben bleiben. Eine schwache Zuneigung zu dem Wesen, das in ihr heranwuchs, regte sich in ihr.
Als sie eine Weile später an dem Garten vorbei zurück zur Scheune ging, blickte Adela unwillkürlich wieder zur Wiese. Das braun gelockte Mädchen saß auf einer Schaukel, die zwischen den Zweigen eines alten Walnussbaumes hing, und schwang sich hoch in die Luft. Ein übermütiges Lachen erhellte sein hübsches Gesicht. Seine Spielgefährtin hatte sich zu den Frauen gesellt und knabberte an einem Kuchen.
Adela hatte fast die Ecke der Scheune erreicht, als sie hinter sich einen lauten, entsetzten Aufschrei hörte. Rasch wandte sie sich um. Die Schaukel schwang leer vor dem blauen Herbsthimmel in der Luft. Dann sah sie, dass das Mädchen herabgestürzt war und reglos im Gras lag.
Weshalb nur war das Kind von der Schaukel gefallen? Schließlich war keines der Seile gerissen, dachte Adela, während sie zu ihm rannte. Auch die Frauen waren aufgesprungen und zu dem Kind gestürzt. Die vornehme Dame war neben ihm auf die Knie gesunken. Ihr vorhin noch so hochmütiges Gesicht war totenbleich und vor Schreck verzerrt.
»Bestimmt ist Euer Mündel unglücklich mit dem Kopf auf den Boden geschlagen und deshalb ohne Besinnung«, meinte eine der Nonnen, eine zierliche, ältere Frau. »Sie braucht Wärme und ein Bett.«
»Nein, wartet.« Adela drängte sich zwischen ihnen hindurch und kniete sich ebenfalls neben das Kind.
»Was fällt Euch ein, Euch einzumischen?«, fuhr eine andere Frau – eine Adlige, ihrem blauen Seidenkleid nach zu schließen – sie an. »Wer seid Ihr überhaupt?«
Adela beachtete sie nicht. Ganz in ihrer Nähe hörte sie ein durchdringendes Summen. Einige Wespen kreisten um den alten Walnussbaum. Aufmerksam betrachtete sie das Mädchen. Ja, tatsächlich – sie entdeckte, was sie erwartet hatte. In dem Hals des Kindes steckte ein kleiner Stachel.
»Ich rufe zwei Knechte, damit sie Joanna ins Haus tragen«, sagte die Frau in dem blauen Kleid.
»Nein«, meinte Adela wieder hastig. Die Adlige wandte sich ab, ohne sie weiter zu beachten. In diesem Moment keuchte die vornehme Dame aus der Sänfte entsetzt auf. »Joanna atmet nicht mehr.«
Adela kümmerte sich nicht um die erschrockenen Stimmen und Rufe, die um sie ertönten. Kurz entschlossen schob sie die Dame weg und beugte sich über das Mädchen. Rasch bog sie seinen Kopf ein wenig zurück. Dann öffnete sie seinen Mund, vergewisserte sich, dass die Zunge nicht nach hinten in die Kehle gerutscht war, und presste ihre Hände, so fest sie konnte, wieder und wieder auf sein Herz.
Komm schon , flehte sie in Gedanken. Du bist viel zu jung, um zu sterben. Dein ganzes Leben liegt noch vor dir. Endlich spürte sie, wie ein Zittern das Mädchen durchlief und seine Brust sich hob und senkte. Es atmete wieder! Eine Weile fuhr Adela noch fort, ihm ihre Hände mit aller Kraft auf das Herz zu drücken. Erst als sie sich ganz sicher war, dass das Herz nicht wieder aufhören würde zu schlagen, ließ sie von ihm ab und richtete sich auf.
»Ein Wunder«, murmelte die zierliche Nonne und bekreuzigte sich. »Ja, ein Wunder«, flüsterten einige andere Frauen. Die vornehme Dame starrte sie nur stumm an.
»Nein, das war kein Wunder.« Ungeduld regte sich in Adela. »Eine Wespe hat das Kind gestochen. Manche Menschen reagieren so heftig auf das Gift, dass ihr Herzschlag aussetzt. Wenn man schnell handelt und das Herz wieder zum Schlagen bringt, kann man diese Menschen meistens retten.« Sie wandte sich an die vornehme Dame. »Das Mädchen kann jetzt ins Haus gebracht werden. Ich werde ihm noch ein Mittel einflößen, das seinen Herzschlag gleichmäßig werden lässt. Und wenn Ihr wollt, bleibe ich noch eine Nacht lang bei ihm.«
»Ja, tut das.« Die Dame hatte sich wieder gefasst. Ihre Stimme klang barsch, als gäbe sie einen Befehl.
Einige Knechte erschienen. Einer hob das Mädchen vorsichtig hoch. Einen anderen bat Adela, ihr das Bündel vom
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