Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
Heuboden zu holen. Dann folgte Adela der vornehmen Dame und dem Knecht, der Joanna trug, in das Wohngebäude und hier eine schmale steinerne Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock. In einem großen, nach Süden hin gelegenen Zimmer, dessen Wände mit grünen Blattranken bemalt waren, stand ein Himmelbett auf einem Holzpodest. Es war mit seidenen Kissen und Decken ausgestattet, und Stickereien zierten die roten Samtvorhänge.
Nachdem der Knecht das immer noch bewusstlose Mädchen in das Bett gelegt hatte, beugte sich Adela über es. Der Atem des Kindes ging immer noch sehr schwach. Endlich kam der andere Knecht mit ihrem Bündel, und sie konnte dem Kind einen Trank einflößen, der eine Spur Digitalis enthielt. Danach entfernte sie den Stachel aus seinem Hals. Die vornehme Dame hatte sich mittlerweile in einem Lehnstuhl niedergelassen.
Adela zog sich einen Schemel zum Podest. Nach einer Weile erschienen einige Mägde, die ein Becken voller glimmender Kohlen, Kerzen sowie Brot, gesottenes Fleisch und Krüge mit Wasser und Wein brachten. Adela aß ein wenig von dem hellen Brot und trank einige Schlucke Wasser. Die vornehme Dame nahm nichts zu sich, sondern saß nur stumm und mit in sich gekehrter Miene da.
Auch während der Nacht sprach die Dame kein Wort. Manchmal ging sie im Zimmer auf und ab, und Adela sah ihren Schatten im Kerzenlicht über die Wände huschen. Hin und wieder trat sie auch an das Bett und vergewisserte sich, dass das Mädchen ruhig atmete. Dann hatte ihr stolzes Gesicht einen überraschend weichen Ausdruck.
Das Kind war nur wenige Jahre älter als Luce. Immer wieder musste Adela an ihren Sohn denken. Sie hoffte inständig, dass es ihm inzwischen besser ging, und sehnte sich schrecklich nach ihm.
Gegen Morgen, das erste Licht kroch schon durch die Ritzen in den Fensterläden und mischte sich mit dem Kerzenschein, öffnete das Mädchen die Augen und bewegte seinen Kopf auf den Kissen. Als sein Blick Adela erfasste, flüsterte es: »Wer seid Ihr?«
»Eine heilkundige Frau.« Adela lächelte es an.
»Joanna, endlich bist du wieder zu dir gekommen.« Die vornehme Dame eilte herbei. Sie setzte sich auf den Bettrand und ergriff die Hände des Kindes.
»Madam, was ist denn mit mir geschehen?« Das Mädchen runzelte die Stirn. »Ich erinnere mich nur noch daran, wie ich auf der Schaukel saß.«
Joanna hatte das Schlimmste überstanden und befand sich auf dem Weg der Besserung. Adela hob ihr Bündel vom Boden auf und hängte es sich um. Sie konnte ihre Reise fortsetzen. Sie mochte das Kind, aber sie verspürte nicht die geringste Lust, sich von der vornehmen Dame zu verabschieden. Leise schlüpfte sie aus dem Zimmer.
Sie hatte den Hof zur Hälfte überquert, als sie schnelle Schritte hinter sich hörte. Eine Frauenstimme rief: »Bei Gott, so wartet doch!« Als sie sich umdrehte, eilte die Dame auf sie zu. Ihre Miene war ärgerlich. »Wie kommt Ihr dazu, einfach so zu gehen?«, fuhr sie Adela an.
Adela hatte nun wirklich genug von ihr. »Ich bin nicht Eure Leibeigene und Euch keine Rechenschaft über mein Tun schuldig«, antwortete sie schroff.
Die Dame öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Doch etwas ließ sie stutzen. So rasch, dass Adela keine Gelegenheit hatte, sie abzuwehren, fasste sie sie am Kinn und drehte die Seite ihres Gesichtes, wo der Peitschenhieb eine Narbe hinterlassen hatte, der Sonne zu. Sie betrachtete den blutverkrusteten Striemen und sagte dann langsam: »Ihr seid also jene Frau, die bei dem Bettler gekniet und mit ihm die Straße blockiert hat.«
»Das war kein Bettler, sondern ein alter Bauer, den der Krieg mitsamt seiner Familie von seinem Land vertrieben hat. Ein Krieg, den Leute wie Ihr angezettelt haben und den die einfachen Leute ausbaden müssen.« Adelas Stimme war kalt vor Zorn. »Allem Anschein nach liegt Euch wirklich viel an Eurem Münde und Ihr habt doch ein Herz – was ich Euch gar nicht zugetraut hätte. Ich hoffe, der Unfall Eures Mündels hat Euch gezeigt, wie schnell auch Ihr Hilfe benötigen könnt. Vielleicht verhaltet Ihr Euch ja das nächste Mal weniger grausam, wenn Ihr einem Verletzten begegnet.«
Adela wollte die Dame stehen lassen und weitergehen. Doch zu ihrer Überraschung trat diese ihr in den Weg. Sie fasste sie am Arm und blickte sie an. »Ihr habt ganz Recht. Mein Verhalten war grausam, dumm und gedankenlos«, sagte sie ruhig. »Dafür gibt es keine Entschuldigung. Ich möchte Euch aber wenigstens sagen, dass ich nicht wollte, dass die
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