Die Rache der Horden
Niederlage brüten.«
»Sind alle versammelt?«, fragte Andrew und blickte sich im Hauptschiff des Doms um.
Kai nickte müde und gab den Wachsoldaten mit einem Wink zu verstehen, sie möchten die Türen schließen.
Draußen auf dem Platz herrschte Aufruhr. Die Verlustlisten waren schließlich ausgehängt worden, und die Klagerufe hallten selbst dann noch durch den Dom, als die Eichentüren zugeknallt waren. Drei suzdalische Regimenter waren vollständig vernichtet – tausendfünfhundert Mann, in einem Augenblick dahin. Ähnliche Listen wurden überall in Rus verbreitet, und Panik lag in der Luft.
»Ein schwieriger Tag da draußen«, stellte Casmar fest. Er erhob sich und segnete die Versammlung aus Offizieren und Senatoren, die alle auf die Knie sanken, abgesehen von den nichtkatholischen Neuengländern und Marcus.
Andrew nickte Casmar dankbar zu, trat vor die Gruppe und blickte sich in der Kirche um.
Ein seltsamer Ort für einen Kriegsrat, aber die Senatshalle war vor gerade einer Stunde von einem Luftschiff angegriffen worden. Bei nur leicht veränderter Zeitplanung wäre es den Merki beinahe gelungen, das Oberkommando mit einem Schlag zu vernichten. Durch die hohen Buntglasfenster mit den Bildern von Heiligen und von Kesus fiel ein weiches Licht; die Kirche roch nach Tausenden von Kerzen und all dem Weihrauch, der seitjahrhunderten hier verbrannt wurde. Sie bildete den Brennpunkt der Rusgesellschaft, seit dieses Volk vor fast achthundert Jahren durch den Lichttunnel gekommen war. Jetzt ging die Ära dieses Bauwerks zu Ende.
»Sie alle wissen, dass unsere Lage ernst ist«, begann Andrew.
Die Versammlung war still.
»Ich rechne damit, dass wir auch den Neiper letztlich verlieren – er ist noch weniger gut zu verteidigen als der Potomac. Danach, denke ich, werden die Merki die Stadt belagern. Anders als die Tugaren bringen sie moderne Artillerie mit. Selbst falls wir dem standhalten, so ist doch gerade erst der Frühling halb vorüber. Es dauert noch Monate bis zur ersten Ernte, und wenn es so weit ist, wird sie in der Hand der Merki sein, nicht unserer. Womöglich halten wir hier wochenlang aus, vielleicht gar monatelang. Aber letzten Endes …« Er verstummte.
»Und was ist mit Nowrod, Kew, Wasima, all den anderen Städten von Rus?«, schrie ein Senator aus dem Hintergrund. »Möchten Sie uns sagen, dass Suzdal verteidigt wird und wir unserem Schicksal überlassen bleiben?«
Andrew hob die Hand.
»Das werde ich nicht tun. Zunächst mal könnten sich gar nicht alle Rus allein in Suzdal verstecken. Zweitens werde ich Regimenter aus Kew nicht auffordern, ihre Stadt im Stich zu lassen und die Hauptstadt zu verteidigen. Wir haben auch um die übrigen Städte Befestigungen angelegt, für den Fall, dass Plündergruppen durchbrechen. Sollten wir jedoch alle Städte zu verteidigen versuchen, verlieren wir sie schlicht eine nach der anderen.«
Der Männer betrachteten Andrew mit unverhohlener Neugier.
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte der Senator.
»Ich schlage vor, ganz Rus zu evakuieren und nach Osten zu fahren, ehe die Merki eintreffen. Alle Nichtkombattanten werden nach Roum gebracht – eine halbe Million Menschen. Marcus Licinius Graca ist hergekommen, um sein Einverständnis zu erklären und uns Zuflucht und Nahrung für unser Volk anzubieten. Alle, die mit der Armee zu tun haben oder in irgendeiner Form mitarbeiten können, werden zu unserer Ostgrenze in den Weißen Bergen geschickt, wo wir bei Kew unsere nächste Widerstandslinie beziehen. Alles, was wir gebrauchen können, nehmen wir mit, und alles, was der Feind gebrauchen kann, das zerstören wir. Alle Fabriken werden zerlegt. Das Werkzeug, die Triebwerke, sogar die Rohstoffe nehmen wir mit, und wir bauen notfalls in der freien Steppe neu auf und arbeiten weiter. Alles, was wir essen können -Kühe, Schweine, Getreide – kommt mit, und was wir nicht mitnehmen können, vernichten wir. Wir vergiften die Brunnen und legen Fallen im Erdboden an. Wir lassen denen nichts übrig. Unsere Flotte sorgt dafür, dass der Fluss und das Meer weiterhin uns gehören, und setzt dem Feind bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu. Die Armee stellt sich derweil am Neiper zum Kampf und erkauft uns die nötige Zeit, damit die anderen entkommen, anderswo neu aufbauen und erneut eine Schlacht schlagen können. Ich verlange von Ihnen allen zwei Wochen Zeit, in denen unser Volk fliehen kann. Und nachdem wir fort sind, lassen wir ein Ödland zurück, in dem diese
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