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Die Rache der Horden

Die Rache der Horden

Titel: Die Rache der Horden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William R. Forstchen
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Zunge herausschneiden und sie ihm in den Hals stopfen, ihn dann an die Stadtmauer binden, bis er erstickt war. Es war die alte Strafe, wie die Tugaren und die Merki sie für Entlaufene festgelegt hatten, aber sie kündete auch von dem Grauen vor einem Menschen, der so lange bei den Horden gelebt hatte, dass er ihnen womöglich gleich geworden war und sich zum Verräter an der eigenen Lebensform gewandelt hatte.
    Erneut trat Stille ein, und die Uhr tickte die Sekunden, die Minuten und Stunden bis zur Rückkehr der Horde herunter. Draußen klang der kalte Herbstregen jetzt weicher, anders als zuvor, und Andrew blickte zum Fenster hinaus und sah die ersten schweren Schneeflocken herabschweben und auf dem Glas anfrieren.
    Er wandte sich wieder Juri zu.
    »Setzt Euch, Juri Jaroslawitsch. Wir müssen miteinander reden.«

Kapitel 1
     
     
    »Mein Allerliebster, deine kostbare Tochter und ich denken voller Sehnsucht an dich.«
    Er lächelte, als er an den Brief zurückdachte. Zu seiner Zeit als Lehrer am Bowdoin College hätte er die Worte »voller Sehnsucht« auf dem Papier des Schülers durchgestrichen, aber von Kathleen klang es bezaubernd.
    Sechs Wochen waren es inzwischen – oder sieben? Er erinnerte sich kaum noch an die Tage, seit er zuletzt vor dem Kamin gesessen hatte, Maddie in den Armen, Kathleen an der Seite, während das Feuer vor ihnen prasselte.
    Voller Sehnsucht.
    Eine eiskalte Bö fegte über die freie Steppe und trieb nadelscharfe Hagelspitzen vor sich her. Colonel Andrew Lawrence Keane brummte einen Fluch und zog sich das Käppi tief in die Stirn. Verdammte Mützen! Die taugten nichts. Welcher Idiot im Kriegsministerium auch immer diese Dinger für die Nordstaatenarmee bewilligte, er hatte selbst nie in vom Wind gepeitschtem Regen gestanden oder war unter der sengenden Sonne Virginias marschiert. Andrew hatte allerdings noch nie viel davon gehalten, streng auf den Uniformvorschriften zu bestehen, und die meisten Männer des 35. Maine-Regiments warfen die albernen Mützen bei erster Gelegenheit weg und gingen zum breitkrempigen, hohen Hardee über, der hervorragend geeignet war, das Gesicht vor Regen, Schnee und Sonne zu schützen. Als Befehlshaber des Regiments hielt sich Andrew persönlich jedoch an die Armeevorschriften, sogar hier. Alte Gewohnheiten haben gewiss ein zähes Leben, dachte er und schüttelte traurig den Kopf. Jetzt war er Kriegsminister und Vizepräsident der Rus-Republik, und nach wie vor trug er die alte, ramponierte Uniform eines Colonels der Potomac-Armee der US-Nordstaaten.
    Marschiert diese stolze Armee nach wie vor?, fragte er sich und empfand einen Hauch Wehmut. Welches Jahr schrieben sie jetzt dort …? Komisch, er dachte gar nicht mehr in Begriffen von »zu Hause«, wenn er an jene Welt zurückdachte. Zu Hause war er hier, in der Stadt Suzdal, der Republik und auf dem Planeten Waldennia.
    Fast vier Jahre lag das alles zurück, und somit musste es jetzt gegen Ende 1868 sein. Nein, wahrscheinlich waren der Krieg vorbei und all die Jungs nach Hause gegangen. Die langen, gewundenen Kolonnen in Blau, die Felder voller Lagerfeuer, der schlangenhafte Fluss aus Männern, der sich durch die Landschaft ergoss, all das war inzwischen verschwunden und die Hunderttausend Teile nach Hause zurückgekehrt zu ihren Lieben, abgesehen von den Gefallenen. Und abgesehen von den Überlebenden des 35. Maine-Regiments, die hier im Exil hausten, wo immer das auch war.
    Er dachte an einen Marsch zurück, zwei Tage vor Gettysburg, als ein Gewitter über die Kolonnen hereinbrach. Der Himmel verwandelte sich in ein dunkles Schwarzgrün, erhellt von gegabelten Feuerzungen. Andrew blieb damals auf* einem niedrigen Höhenzug stehen und blickte zurück über die Soldatenkolonne, die sich durch das Tal schlängelte. Mit jedem blauen Blitz schien es, als fingen zwanzigtausend Musketenläufe das Licht auf und reflektierten Thors Blitze des Krieges, die den Blick mit ihrem strahlenden Glanz blendeten. Dann rauschte der Regen herab und ertränkte die Welt in Dunkelheit; trotzdem war das Heer weitermarschiert, im Licht der Blitze aufschimmernd, ein elektrischer Körper in blauer Farbe, der sich auf seine abschließende Bestimmung zuwälzte.
    Er erinnerte sich an den Klang der Stimmen, die Lieder, die an den Kolonnen entlangtrieben, das Lachen, das mit der Abendluft schwebte, den Triumphschrei, als sie zum Sieg stürmten, die Lobgesänge, die zum Himmel aufstiegen, die Trommelwirbel in der Ferne, den

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