Die Rache der Horden
arbeitenden Familien von Rus, und mehr als einmal schon hatte Andrew auf seinem Teller nichts weiter vorgefunden als Brot und Butter, die fast schon ranzig war.
»Es verhindert, dass wir alle zu neuen Bojaren werden«, pflegte Kai sie alle zu ermahnen. Es war auch verdammt clevere Politik, wie Andrew ebenfalls wusste.
Andrew schlang die Hände um den Teebecher und saugte die Wärme daraus auf; dann hob er ihn an die Lippen und trank einen Schluck, und ein zufriedenes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. Es war sein erster Tee seit fast einem Monat. Was er gerade überstanden hatte, das war sein zweiter Typhusschub gewesen, und er hatte diesmal fast schon geglaubt, es würde ihn umbringen.
Er nahm einen weiteren tiefen Schluck, und der Tee rüttelte seine Sinne wach. Er stellte den Becher ab und blickte sich am Tisch um.
»John, warum fangen Sie nicht an und fassen die Lage für uns zusammen?«
John Mina klappte einen Ordner auf und hob den Blick zu den anderen. Er brauchte die Papiere im Grunde nie, denn die Fakten und Zahlen tanzten unaufhörlich durch seinen Kopf.
»Die Produktion geht derzeit ein wenig zurück. Wir haben ja schon darüber gesprochen. Die Moral liegt am Boden. Fast drei Jahre lang schuften die Leute schon ohne Unterlass, haben dabei zwei Kriege erlebt und sehen jetzt den dritten kommen. Auch der Krankenstand ist gestiegen, um mal einen Anfang zu machen.«
»Das war im Winter zu erwarten«, sagte Emil, und es klang beinahe abwehrend. »Und es war immer noch viel besser, als wenn wir keine Kanalisation angelegt und sauberes Trinkwasser gewonnen hätten.«
»Niemand zweifelt an Ihren Anstrengungen, Doktor«, sagte Kai sanft. »Ohne Ihre Arbeit hätten wir nicht das erreicht, was wir erreicht haben.«
»Ich wies lediglich auf eine Tatsache hin«, entgegnete John. »Nichts weiter, Doktor.«
Emil sagte nichts, aber Andrew wusste, dass sein alter Freund Krankheiten als persönliche Beleidigung auffasste.
»Unsere Artillerie setzt sich aus dreihundertzehn leichten Vierpfündern zusammen, hundertzwanzig Zwölfpfund-Napoleonern und zwölf der neuen Zehnpfund-Geschütze mit gezogenen Parrott-Läufen, die Sprenggranaten verschießen.
Für die Flotte und die Küstenverteidigung haben wir zweiundvierzig Fünfundsiebzig-Pfund-Kanonaden, zwanzig langläufige Fünfundsiebzigpfünder, die von Cromwells Flotte erbeuteten Stücke, und fünfzig auf Drehzapfen gelagerte Vierpfünder für die Galeeren.
Wir haben sechzig Vierpfünder und ein Dutzend Napoleoner auf Spezialwagen für die Luftabwehr montiert, um sie gegen die Ballons einzusetzen; notfalls könnten wir diese wieder demontieren und im Bodenkampf verwenden.
Wir produzieren täglich knapp zweihundert Gewehre vom Springfield-Typ und weitere zweihundert glattläufige Musketen mit Steinschlössern, die von den alten Montagebändern in Rus laufen. Die Roumwerke fangen gerade mit ein paar Dutzend glattläufigen Musketen pro Tag an und zwei Vierpfündern pro Woche. Dieses Tempo dürfte im Laufe des nächsten Monats kräftig ansteigen.«
»Erreichte Gesamtzahlen?«
»Etwas weniger als zwanzigtausend Perkussionsgewehre mit unseren alten Miniekugeln vom Kaliber ‚58, dazu vierzigtausend Steinschlossmusketen, umgebaut zu Miniekugelgewehren für das Kaliber ‚69, und dreißigtausend echte Steinschlossmusketen mit glatten Läufen. Hätten wir nicht beinahe achttausend Gewehre in der Seeschlacht verloren, wären wir in viel besserer Verfassung.«
»Das klingt gar nicht schlecht«, fand Andrew. »Es reicht für sechzehn Divisionen, fünf und ein Drittel Korps sowie zusätzliche Garnisonstruppen und Heimatschutzmiliz.
Immerhin«, fuhr er fort, »haben wir somit nur zehn Divisionen für die hiesige Front. Wir müssen ein volles Korps aus drei Divisionen in Roum stationiert halten, für den Fall, dass die Merki dort angreifen, und ein Reservekorps in Suzdal, das von dort aus sowohl nach Osten wie nach Westen marschieren kann. Das ergibt sechzigtausend Mann für über hundertfünfzig Kilometer Front. Hier draußen werden uns die Horden also an Zahl fast sechs zu eins überlegen sein.«
»Noch ein Monat mehr, und wir haben ein weiteres Korps«, gab John zu bedenken.
»Kaum ausgebildet«, warf Hans ein und blickte zu Dimitri hinüber.
»Wir haben fast vierzigtausend Mann derzeit in der Ausbildung«, sagte Dimitri. »Nur zehntausend davon tragen bislang Waffen – die Angehörigen der Feldbatterien üben mit auf Wagen montierten Baumstämmen. Es
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